Es begann damit, dass 1964 das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge einen Großauftrag zu vergeben hatte. Ein sogenanntes Time-Sharing-System sollte entwickelt werden. Time-Sharing - das heißt, viele Benutzer können gleichzeitig auf einen Rechner zugreifen, wobei der einzelne Benutzer den Eindruck hat, dass die Maschine ihm ganz allein zur Verfügung steht. Eine tolle Sache in einer Zeit, die noch nicht den PC kannte.
Es war ein sehr avantgardistisches Projekt, um das sich neben IBM auch der Elektronik-Hersteller General Electric bewarb. Und diese Firma bekam den Zuschlag. Mit von der Partie waren der Flugzeugbauer Northrop und auch die Bell Laboratories - das Forschungslabor, das damals noch zu American Telephone & Telegraph (AT&T) gehörte und heute Teil des Spin-Offs Lucent ist.
AT&T war zu jener Zeit im Begriff, ihr gesamtes Fernmeldenetz zu elektronisieren und wollte das größte Computernetz der Welt errichten. Über dieses Computernetz sollte
- nicht nur der gesamte Telefonverkehr gesteuert werden,
- sondern auch der Datenaustausch zwischen entfernten Bildschirmgeräten und zentralen Computern.
Dieses Geschäft - das war klar - würde durch Time-Sharing erheblich anwachsen.
Natürlich war IBM über den Verlust dieses Auftrags nicht gerade glücklich. So richtig glücklich wurden indes auch weder General Electric, Northrop, die Bell Labs noch das MIT. Die Entwicklung des neuen Betriebssystem, das MULTICS genannt wurde, erwies sich als äußerst komplex.
MULTICS war vor allem in den Augen der Bell Labs zu einem überdimensionierten Betriebssystem geraten, das auf der Entwicklungsseite sehr schwer zu managen war. Der Zeitrahmen wurde deutlich überschritten. Erst 1970 - mit drei Jahren Verspätung - wurde das Betriebssystem ausgeliefert. Übrigens nicht von General Electric. Die Firma hatte sich am 20. Mai 1970 aus dem Computergeschäft zurückgezogen und ihre Aktivitäten an Honeywell übergeben. Und erst 1973 war Multics kommerziell verfügbar.
Die Bell Labs hatten sich 1969 frustriert aus diesem langwierigen Projekt verabschiedet. Unzufrieden waren die Entwickler vor allem über die Art und Weise, wie dieses Betriebssystem entwickelt wurde. Sie hatten eins gelernt: Die Software-Entwicklung mußte künftig anders vonstatten gehen.
Da kam ein Computerwissenschaftler namens Ken Thompson, der seit 1966 bei den Bell Labs arbeitete, auf die aufregende Idee, ein neues, kleineres und modular aufgebautes Betriebssystem zu schaffen. Er schrieb es in der hardwarenahen Sprache Assembler, und es war darauf angelegt, selbst komplexen Anforderungen zu genügen. Damit konnten Programmierarbeiten auf verschiedene Gruppen verteilt werden, die statt auf einem einzigen Großrechner mit eigenen Minicomputern arbeiteten.
Damals dachte man vorwiegend in Großsystemen - und so war dieser neue Ansatz schon revolutionär. Aber 1969 war ja auch das große Jahr des Aufbruchs und der Veränderungen. Die ersten Menschen waren auf dem Mond gelandet, der Mythos Woodstock entstand, in Bonn etablierte sich die sozial-liberale Koalition, Charles DeGaulle war in Frankreich zurückgetreten. Studentenunruhen überall. Die Turnschuh-Generation befand sich auf dem Marsch durch die Institutionen. Und auf einen solchen langen Marsch begab sich auch dieses neue, noch namenlose Betriebssystem, das in seinem ganzen Charakter dieser neuen Generation entsprach.
Die erste und lange Zeit einzige Institution, die es eroberte, waren die Bell Labs. Das neue Betriebssystem sollte hier als ein einheitliches Entwicklungswerkzeug für die Software-Erstellung eingesetzt werden. Mit ihm sollten also vor allem Programme effizienter geschrieben werden. Ein hochaktuelles Thema.
Zu jener Zeit, 1968, war auf einer NATO-Konferenz die sogenannte Software-Krise ausgerufen wurden, die in den siebziger Jahren die Schlagzeilen der Fachpresse besetzte. Alle Welt begab sich auf die Suche nach Methoden und Möglichkeiten, die Software-Herstellung effizienter zu gestalten. Und in diese Zeitströmung klinkte sich auch das Betriebssystem ein. Es zielte damit auf eine sehr junge, sehr engagierte Berufsgruppe, die Software-Ingenieure bei den Bell Labs.
Die Programmierer dort waren aber nicht nur deswegen begeistert. Sie plagte noch ein weiteres Problem: die Technologie änderte sich ständig. Das hatte zur Folge, dass eine Anwendung, die für eine Technologie entwickelt worden war, auf einem anderen System nicht mehr lief. Jedes Programm musste mit jedem Hardware-Wechsel umgeschrieben werden. Und der Einzug des gerade erfundenen Mikroprozessors würde einen neuen, verwirrenden Technologie-Schub bringen.
So war der mächtige Wunsch da, ein Betriebssystem zu schaffen, das allein die Schnittstelle zu den Anwendungen darstellte. Dann brauchte man nur noch das Betriebssystem an die jeweilige Hardware anzupassen. Die Forderung hieß also Offenheit.
Diese Offenheit äußerte sich in einer damals sehr idealistisch anmutenden Forderung:
Eine Computeranwendung, die auf der Hardware eines bestimmten Fabrikats läuft, soll ohne Änderung übertragbar sein auf das System einer anderen Marke. So schön diese Forderung nach Portabilität war, so wenig realistisch erschien vielen deren Erfüllung. Betriebssystem und Hardware bildeten nach vorherrschender Meinung ein so intensives Gespann, daß man sie voneinander nur schwer trennen könne.
So herrschte bei den etablierten Computerherstellern und deren Kunden große Skepsis, ob so etwas überhaupt machbar war. Nach ihrer Meinung würde ein solches abgetrenntes Betriebssystem nicht in der Lage sein, alle Funktionen abzudecken, die für die Komplett-Versorgung eines Unternehmens mit EDV-Lösungen notwendig waren. Und damit hatten sie auch recht.
Zum anderen aber sprachen juristische Gründe gegen eine große Akzeptanz.
1956 hatte AT&T in einem Antitrust-Verfahren einem Vergleich zugestimmt, der dem Fernmelderiesen, dessen Bell Labs 1947 den Transistor, den Grundbaustein der modernen Elektronik, erfunden hatte, den Verkauf von Computern verwehrte. Die US-Regierung hatte damals Sorge, dass AT&T neben dem Fernmeldebereich auch das gerade beginnende Computergeschäft monopolisieren könne. Deshalb durften die Bell Labs Entwicklungen, die außerhalb des reinen Telekommunikationsbereichs lagen, nicht kommerzialisieren.
Sie durfte es allerdings an andere, nicht auf Profit ausgerichtete Körperschaften, also z.B. an Universitäten, gleichsam verschenken. Diese Großzügigkeit konnte sich AT&T durchaus leisten. Denn das Unternehmen war 1969 mit einem Gesamtvermögen von 53,2 Milliarden Dollar die mit Abstand reichste Firma der Welt. Auf neue Pfründe war es nicht angewiesen.
Aber wenigstens einen Namen durfte das neue Betriebssystem haben. Es wurde schließlich 1970 auf den Namen UNIX getauft. Für was steht nun UNIX? Das ist eine Kombination aus dem Verb Unify - das steht für Vereinheitlichen - und MULTICS. An den Vorteilen dieses Betriebssystems setzte UNIX auf. Es unterstützte den bereits oben beschriebenen interaktiven Umgang mit einem Computer, auf den mehrere Benutzer zugreifen, wobei jeder den Eindruck hat, der Rechner würde allein für ihn arbeiten.
Der wichtigste Anspruch war aber die Hardware-Unabhängigkeit. Doch die Wirklichkeit sah zuerst einmal ganz anders aus. Träger des neuen Betriebssystems war nämlich in den ersten Jahren nur ein einziger Rechnertyp: die PDP-7 der Digital Equipment Corporation. Auf diesem Rechner wurde UNIX 1971 erstmals implementiert. Dieser Minicomputer wurde auch intensiv für das Computerspiel "Star Trek" genutzt. Mittags ging deswegen in den Bell Labs immer die Rechnerleistung in den Keller.
Leider zeigte sich, dass es UNIX nicht gelang, die Hardware-Abhängigkeit zu brechen. Es wurden zeitweilig mehr als 250 Varianten gezählt, ohne dass die Marktforscher das Gefühl hatten, alle Derivate erfasst zu haben. Trotzdem hatte Unix durchaus Erfolge zu verbuchen.
1974 besuchte der UNIX-Erfinder Ken Thompson die Universität von California in Berkeley, an der er übrigens Elektrotechnik studierte hatte. Thompson stellt sein Betriebssystem vor. Und dessen Portabilität faszinierte sofort die Studenten und Wissenschaftler. AT&T schenkte es 1975 der Universität von Berkeley. Sie wurde das Mekka von Unix, zumal das Pentagon diese Hochschule auch noch finanziell dabei unterstützte, dieses Betriebssystem weiter zu pflegen. So entstand die berühmte Version 7.
Dieser Neufassung, die schließlich in dieser berühmten Version 7 konsolidiert wurde, war es vor allem zu verdanken, dass dieses Betriebssystem portabel wurde. Es galt nun als maschinenunabhängig. Der Marsch durch die Institutionen konnte endgültig beginnen.
Dieses UNIX bestand wie eine Kirsche oder wie eine Pflaume aus einem harten Kern. Und es bestand aus einem Fruchtfleisch, aus sogenannten Dienstprogrammen. Das war nun eine große Verlockung für die Computerwissenschaftler. Sie fingen an, wie Biogenetiker um den harten Kern herum ein neues Fruchtfleisch heranzuzüchten. Nach und nach entstand eine üppig wuchernde Obstkultur. Es gab unendlich viele Versionen von Unix, die man miteinander vergleichen konnte wie Äpfel mit Birnen. In der Mitte dieses Versuchslaboratoriums stand die Universität von Kalifornien.
Die Versuche der Bell Labs, den Wildwuchs zu beschneiden, waren nicht sonderlich erfolgreich. Mehr noch: 1976 begann AT&T damit, auch Firmen aus dem Computerbereich Lizenzen anzubieten. 1979 stellte AT&T unter dem Begriff Unix Version 7 die konsolidierte Fassung ihres Betriebssystems vor, die von den Computerfirmen verstärkt akzeptiert wurde.
Die Abnehmer bekamen allerdings außer dem Quellcode, also der reinen UNIX-Software, keinerlei Unterstützung von den Bell Labs. Diese durfte ihnen auch AT&T nicht gewähren. Das war ihr verboten.
Die kommerziellen Lizenznehmer, die ja nicht wie AT&T juristischen Restriktionen unterworfen waren, kooperierten mit Berkeley. das sich zur höchsten Instanz im jungen Unix-Markt entwickelte. Es entstand ein reger Gedankenaustausch, zumal ab 1979 viele Studenten, die an ihrer Universität mit Unix gearbeitet hatten, nun in das Erwerbsleben eintraten. Sie gingen zu Computerfirmen und bildeten dort eine UNIX-Lobby. Die entstand natürlich auch bei den Anwendern, wo die Hochschulabgänger ebenfalls Stimmung für das Betriebssystem erzeugten. Es formierte sich eine weltweite UNIX-Szene, die sehr intensiv miteinander kommunizierte.