Donnerstag, 18. August 2011

Die Geschichte des PCs: DER URSCHREI (Teil8 und Ende)

6. Quick & Dirty Tricks

Von Raimund Vollmer

Mit Seattle im Sattel. Der Rest der Gründungsgeschichte ist schnell erzählt. Microsoft besaß zwar selbst kein eigenes Betriebssystem, doch sie hätte den Poker um das wichtigste Geschäft ihrer Geschichte kaum bestehen können, wenn sie nicht bereits eine Lösung in der Hinterhand gehabt hätte. Nur zwanzig Au­to­mi­nu­ten vom damaligen Sitz der Company in Bellevue entfernt, gab es die Firma Seattle Com­pu­ters, die sich bereits an die nächste Mikroprozessor-Generation, an den schnelleren 16-Bitler, an den Intel 8086, herangewagt hatte. Die Firma hatte darauf gewartet, eben­so wie übrigens Microsoft, dass Digital Research mit einem entsprechenden Be­triebssystem dafür herauskommen würde. Doch Kildall war in Verzug - er be­saß offenbar überhaupt keine 16-Bit-Version.

So hatte ein Mitarbeiter von Seattle Computers 1980 damit begonnen, selbst ein Betriebssystem zu entwickeln: Quick & Dirty Operating Sy­stems (QDOS). Schon im September 1980 hatte sich Gates eine Kopie besorgt, aber noch keinen Vertrag mit Seattle geschlossen. Das holte er im Januar 1981 nach. Für insgesamt 25.000 Dollar erwarb Microsoft nun eine Lizenz. Und im Februar 1981 lief das Betriebssystem auf einem Prototyp des IBM PCs. In einem beispiellosen Kraftakt gelang es den Entwicklern, bis zur Ankündigung das Betriebssystem vollständig an die Anforderungen der Maschine anzupassen. Vier Wochen vor dem 12. August gelang Gates dabei noch ein Coup von ganz besonderer Würze: für weitere 50.000 Dollar erwarb er alle Rechte an QDOS. (Im Februar 1986 kam es zu einem Rechtsstreit, bei dem Seattle Computers 60 Millionen Dollar von Microsoft einklagte. Im De­zember 1986 wurde der Fall gütlich beigelegt. Microsoft zahlte 925.000 Dollar.[1])

Digital Research schien 1981 völlig aus dem Rennen. Schnell firmierte Gates das Betriebssystem um in MS-DOS. Nun standen die Buchstaben nicht mehr für Quick & Dirty, sondern für Microsoft und Disc Operating System. Doch ein kleiner schmutziger Trick war immer noch dabei.


6.1 Der Mann, der die Luft erfand

MS-DOS war zwar ein ausbaufähiges Betriebs­system, es hatte aber einen entscheidenden Nachteil: es war nicht kompatibel mit CP/M. Darauf hatte sich indes IBM verlassen. Es soll dann Kildall gewesen sein, der die Entry-Leute darüber aufklärte. Das Ergebnis war, dass am 12. August 1981 der IBM PC mit zwei Betriebssystemen angekündigt wurde: mit dem kleinen PC‑DOS für 40 Dollar und dem stolzen CP/M-86 für 240 Dollar. Zwei Betriebs­systeme auf ein­mal ‑ so etwas hatte die junge Branche noch nie erlebt. Das war eine absolute Novität im Mikromarkt. Meint Kildall: »Niemand wuss­te, wohin der Markt gehen würde.«[2] Vielleicht war das halbe Jahr entscheidend, mit dem Digital Research 1981 im Verzug war. Vielleicht war es auch der Preisunterschied. Auf jeden Fall hatte die Computerbranche bis dahin noch nie einen solchen Typen wie Bill Gates erlebt: eine geniale Mischung aus Zauderer, Zauberer und Zocker.

Rühmte zehn Jahre nach der Au­gust-Revolution das Nachrich­ten­ma­gazin »Newsweek«: »Heute for­dert jeder IBM und IBM-kompatible Computer diese MS-DOS-Software. Es ist, als ob man die Luft er­funden hätte«.[3] Richtig: Bill Gates war es, der die Luft erfunden hatte. 1981. Von da an fegte er mit einem Sturm nach dem anderen einen Wettbewerber nach dem anderen vom Markt oder drängte ihn in eine kümmerliche Ecke.


6.2 Boss namens Bios

Und IBM? Sie verlor die Herrschaft über ihren Markt nicht erst 1991 in der Schlacht zwischen OS/2 und Windows, sondern bereits 1984. Denn auch ihre Macht basierte auf einem kleinen Trick, mit dem die Company versuchte, ihr Erstgeburtsrecht im MS-DOS-Markt zu wahren.

So schimpfte 1984 der amerikanische Computerexperte George Marrow über die »wirk­lich schlimmen Designfehler« des PCs. Und das sei nicht etwa die Schuld von Microsoft, von der Big Blue das Betriebsystem bezog. Man könne dies auch nicht den Zulieferern zur Last legen, mit denen der Marktführer wegen Qualitätsproblemen zunehmend Schwierigkeiten hatte. Nein, es sei allein die »Schuld« von IBM.

Aber diese Designfehler erzeugten das, was Marrow »das IBM‑Phäno­men« nannte: die To­le­ranz des Marktes gegenüber diesen Makeln. Sol­che gravierenden Schwächen durfte in der Branche nur IBM zei­gen. Ihr nahm man sie ab. Der Markt erklärte sie zur Strategie und verklärte sie damit gleichzeitig zum Mythos. Und dieser Mythos hieß BIOS (Basic In­put/Output System).[4]

Dabei handelte es sich um eine von IBM ge­schütz­te und fest in ein ROM­‑Chip einpro­gram­mierte Schnittstelle zwi­schen dem Betriebssy­stem MS‑DOS und der reinen Hardware. Oberhalb des Be­triebssystems lagen dann die Anwendungs­programme wie etwa die damals po­pu­läre Spreadsheet‑Software Lo­tus 1‑2‑3.

Bei einigen Applikationen erwies sich dieses Zusammenspiel von An­wendung, Betriebssystem, BIOS und Hardware als sehr träge oder gar als unmöglich. Solche Programme verkauften sich schlecht. So war jeder daran interessiert, Treiber zu bauen, die unter Umgehung des Betriebssystems das BIOS direkt ansteuerten. Die Kompatibilität mit MS-DOS genügte nicht. Es musste also noch einiges an Zusatzarbeit geleistet werden. Diese Anpassungen mussten für jeden Hersteller extra aufgebracht werden. Und da IBM die absolute Nummer 1 im Markt war, wurden die Anwendungen, Peripheriegeräte und Zubehörteile zuerst für die Produkte dieses Anbieters entwickelt. So festigte Big Blue ihre Position. »Ob das nun Absicht war oder nicht, es hat jeden­falls IBM zum dominanten Anbieter im Klein­com­pu­termarkt gemacht«, analy­sier­te damals diesen Effekt der PC‑Experte Marrow. [5] Auf jeden Fall schützte IBM massiv ihre Rechte am BIOS. Niemand durfte diese Schnittstelle einfach nachahmen. MS-DOS und BIOS bildeten ein wunderbares Gespann.

Doch dann kam der Angriff aus dem Nichts. Eine winzige Firma aus Norwood in Massachusetts kippte das Duopol. Ihr Name: Phoenix Softwa­re Associates Ltd. Es war ein hochspezia­li­sier­tes Softwa­re­haus mit einem Umsatz in 1983 von knapp einer Mil­lion Dollar. Dieser Zwerg sollte den gesamten PC‑Markt durcheinander und IBM um ihre Macht bringen

Als der Gigant im August 1984 seinen PC‑AT als neuen Knüller ankündigte, sollten die Wettbewerber bald Grund haben zum Jubeln. Zuerst einmal un­ter­warfen sie sich blindlings dem IBM-Stan­dard. Sie wollten möglichst schnell kom­pa­tible Produkte zum AT ankündigen. Ihr größte Sorge galt dabei nicht der technologischen Heraus­forderung, die der AT stellte. Die war lachhaft klein. Nein, es war ihre Angst vor Rechtsstreitigkeiten mit IBM - wegen BIOS. Es war immer noch eine uneinnehmbare Festung. Aber jetzt gab es dieses kleine Softwarehaus aus Massachusetts, das eine lupenreine Lösung in der Tasche hatte. Es schlug IBM mit ihren eigenen Waffen.

Damals waren die Zeitungen voll von dem Shakeout in der PC‑Industrie. Firmen machten reihenweise ihren Laden dicht. Nur IBM wuchs und wuchs. BIOS hatte alles im Griff.

Um gegen Big Blue bestehen zu können, gab es nur eine Chance: unbedingte Kompatibilität. Technisch war sie nicht schwierig herzustellen, nur juristisch. Und nach genau einem juristisch einwandfreien Weg suchten die Entwickler von Phoenix. Sie beschäftigten ein ganzes Heer von Anwälten, die hier nach einem Weg suchen sollten. Und sie fanden ihn.


6.3 Jungfrauen und Infizierte

Phoenix entwickelte ein 100prozentig kompatibles BIOS, ohne dass IBM auch nur eine Chance hatte, diese Firma zu verklagen. Und die Methode sah so aus:

Es gab bei Phoenix zwei Arten von Programmierer: die »Jungfrauen« und die »Infizierten«. Letztere kannten haargenau jede Spezifika­tion des IBM BIOS. Sie wussten, was es tat und wie es arbeitete. Die »Jungfrauen« hingegen hatten keine Ahnung von BIOS. Das war Einstel­lungsbedingung. Ihnen wurde nun von den »Infizierten« mitgeteilt, was das BIOS leistete. Sie erhielten eine Beschrei­bung. Aber sie bekamen keine Infor­mationen darüber, wie diese Funktion von IBM realisiert worden war. Sie sollten ihren eigenen Weg finden. Und so schufen sie ein BIOS, das zwar funktional voll dem der IBM entsprach. Aber es war keine Kopie. Es war ein Clone. Und gegen diese Methode war Big Blue machtlos. Für anfangs 200.000 Dollar konnte nun jeder Wettbewerber die Phoenix‑BIOS‑Lizenz erwerben. Später ging der Clone‑Schöpfer auf 100.000 Dollar runter. Schließlich nahm er überhaupt keine Einmallizenz mehr, sondern berechnete »Royal­ties«: zehn Dollar für jeden BIOS‑Chip. Firmen wie AT&T, Xerox, Tandy und Texas Instruments gehörten alsbald zu seinen Kunden.[6] Aber Phoenix bekam auch Konkurrenz. So berechneten die Clone‑Ingenieure Award Software Inc. aus Kalifornien nur sieben Dollar für ihren Chip. Besonders erfolgreich eroberte der Clone‑Spezialist Chips & Technologies Inc. das Geschäft mit der perfekten PC‑Kopie. 1984 als Drei‑Mann‑Firma in Milpitas, Kalifornien, gegründet, beschäftigt dieses Unter­nehmen zwei Jahre später 138 Mitarbeiter, galt als der Marktführer beim BIOS‑Bausatz.[7] Der Aufstieg des Clone‑Clans begann und damit die Gleichschaltung der IBM mit ihrem Markt. Mit BIOS war auch ihr Mythos gebrochen.

Wenige Jahre später, 1991, sollte sich auch Microsoft von ihrem einstigen Herrn und Meister trennen und alleiniger Herrscher über das PC-Imperium werden. Doch zu diesem Zeitpunkt, als Gates sich gegen das neuartige Betriebssystem OS/2 und für den MS-DOS-Aufsatz Windows 3.X entschied, wurden die Karten im Computermarkt schon neu gemischt. Das World Wide Web entstand. Und mit ihm eine neue Generation...

Die Geschichte des PCs TEIL 1 // TEIL 2 // TEIL 3 // TEIL 4 // TEIL 5 // TEIL 6 // TEIL 7 // TEIL 8 (Ende) //

ENDE

Quellen

[1] Datamation, 15.1.1987: »Settlement reached«

[2] Fortune, 21.1.1985, Jaclyn Fierman: »A fallen software star tries a comeback«

[3] Newsweek, 8.7.1991, Michael Rogers: »The whiz they love to hate«

[4] Personal Computing, 3/1984, Charles Rubin, Kevin Strehlo: »Why so many computers look like the ´IBM standard`?«

[5] Personal Computing, 3/1984, Charles Rubin, Kevin Strehlo: »Why so many computers look like the ´IBM standard`?«

[6] Business Week, 28.7.1986, Geoff Lewis: »The PC wars: IBM vs. the clones«

[7] Computerworld, 29.6.1987, James A. Martin: »Chips & Technologies tackles PS/2«

Mittwoch, 17. August 2011

Die Geschichte des PCs: DER URSCHREI (Teil7)


1981: Paul Allen & Bill Gates, Gründer von Microsoft

5.0 Nacht der Entscheidung

5.1 Der Sprachen-Millionär

Bellevue (Washington). Spätherbst 1980. Seit bald sieben Jahren war Wil­liam H. Gates, 24, bereits im Geschäft, als er gemeinsam mit sei­nen Freunden Paul Allen und Kazuhiko Nishi bis spät in die Nacht hinein über die Zukunft diskutierte. Ihr Streitpunkt: Chess. Unter die­sem nur extern verwendeten Co­denamen hatte im August ein kleines Team von IBMern bei der kleinen Mi­cro­soft Corp. vorgesprochen und Fir­men­gründer Bill Gates die Ent­wicklungs­pläne ihres neuen PCs vor­ge­stellt.

Die Softwareschmiede - so war die erste Idee - solle einen Basic-Inter­preter für Chess entwickeln. Der Codename war gut ge­wählt. Denn mit Chess (Schach) würde jeder einen Spielcomputer a­ssoziieren. Gates hatte mit diesem Auftrag kein Problem. Das war Routine. Basic - das war seine Unter­nehmens­basis. Damit war sei­ne Firma berühmt ge­worden. Microsoft Basic - das war sein Markenartikel. Nannte man die berühmtesten Mikro­pro­zessoren der damaligen Zeit, dann hatte er den entspre­chenden Interpreter dafür: für Intels 808X, Zilogs Z80 und Moto­rolas 680X. Ebenso hatte er Compiler für Cobol, Pascal und Lisp im Angebot. Er beschäftigte 64 Mitarbeiter und setzte 7,5 Mil­lionen Dollar um. Gates war der »Spra­chen-Millionär« (Elec­tro­nics).[1]

Aber von Sprachen war in dieser Nacht nicht die Rede. IBM woll­te ihren Auftrag wesentlich erweitern. Sie wollte, dass Microsoft ein komplettes Betriebssystem lieferte. Für Chess. So et­was hatte die junge Company noch nie getan. Gates zöger­te und zauderte. Dabei hat­te er sich und seiner Firma bislang stets so viel zugetraut...


5.2 Lehrjahre und Schulpläne

Bereits als Schuljunge hatte Gates den Computer entdeckt. Er be­suchte 1972 eine private High School in Seattle, als die Schul­verwaltung auf die Idee kam, den Einfluss des Com­pu­ters auf die Ge­­sellschaft zu untersuchen. Sie stellte den Schü­lern auf ihrem Mini, der für die interne Abwicklung an­geschafft worden war, Computerzeit zur Ver­fügung. Ein interes­san­tes Ange­bot.

Das war's aber auch schon. Es gab keinen Programmier­-Lehrgang. Es gab nur den Computer. Und es gab Bill Gates. Er beschaffte sich Literatur und brachte sich die Programmierung selbst bei.

Nun wollte es das Schicksal, dass der Programmierer starb, der in den Ferien auf dem Schul-Computer für die Klassen und deren Leh­rer im­mer die Stun­denpläne berechnete. Wer sollte nun dieses Pro­jekt über­nehmen? Die Wahl fiel auf den Novizen Gates. So bekam der junge Freak die einzig­artige Chance, statt in ein Ferienlager zu entschwinden, sei­nen ersten Auftrag abzuwickeln. Gates: »Ich steckte während des ge­sam­ten Sommers nur noch im Computerraum und schrieb den Stunden­plan neu. Ich bekam dafür 4.200 Dollar und so ­viel Com­pu­ter­zeit wie ich wollte.« Seine nächsten Erfahrungen mit der Seele der Maschine machte er dann bei der Computer Cen­ter Corp., die jungen Studenten anbot, bei dem »Entlausen« von Pro­gram­men zu helfen. Als Gegenleistung durften sie dann auf dem Rech­ner spielen. Gates griff zu: »Ich war ganz verrückt nach die­sem Projekt. Ich verbrachte Tage und Nächte dort.« Es lag sicher­lich nicht an ihm, dass die Firma bankrott ging. Derweil war­tete bereits der nächste Auftrag auf ihn. Er sollte als frei­be­ruf­li­cher Programmierer ein Verkehrsüberwachungssystem ent­wickeln. Das Informationssystem sollte elektronische Berichte über die Verkehrsbedingungen liefern. Gates erledigte dies eben­so ge­schickt wie weitere Aufträge von DEC und TRW.[2]

Als er 1973 an der Harvard‑Universität sein Studium begann, da war er längst ein echter Software‑Profi. Er hatte Blut geleckt. Das Ma­the­matik‑Stu­dium mach­te ihm indes keinen Spaß. Er spielte statt­des­sen Poker, bastelte mit elektronischem Gerät herum. »Ich saß de­primiert in meinem Raum und philosophierte vor mich hin, um her­auszufinden, was ich ei­gent­lich mit meinem Leben anfangen sollte« (Gates).[3]

Eines Tages ‑ wir schreiben das Jahr 1974 ‑ kauften er und sein Freund Paul Allen einen Mikro­prozessor 8080 von der kali­for­ni­schen Chip­schmiede Intel. Der Minicomputerhersteller DEC hatte sie beauftragt, einen 8080-Simulator zu entwickeln, der auf ei­nem Mini laufen sollte. Daraus wurde die in den siebziger Jah­ren am wei­testen verbreitete Sprache in der PC-Szene - Microsoft Ba­sic. Ihr hatte es Gates zu verdanken, dass er nun mit 24 Jahren bereits Millionär war.

Doch nun sollte er sein ganzes junges Vermögen riskieren und ei­nen Auftrag akzeptieren, über dessen Ausmaß er keine Vorstellung hat­te: ein Betriebs­system. Gates wurde immer stiller, während vor allem sein japani­scher Freund Kazuhiko Nishi immer lauter wurde und auf ihn ein­re­dete. Wo war sein Mut, seine Frechheit, sein Selbstbewusstsein? War er inzwischen genauso borniert und vernagelt wie seiner­zeit die Firma In­tel, die eben­falls ihre eigenen Chancen nicht erkannt hatte?


5.3 Intels Klientel

Mit dem DEC-Auftrag hatte Gates 1974 die Mög­lich­­­kei­ten des Mikroprozessors kennengelernt. Er war so begei­stert gewesen von dem Tausendsassa, dass er sein Mathematik-Stu­dium kur­zerhand an den Nagel hängte. Er hatte mit 19 Jahren sein Lebensziel ge­funden. Von da an trieb ihn nur noch ein Ge­dan­ke vorwärts: die Eroberung der Mikro‑Welt. Doch genau diesem gran­diosen Ziel stellte sich vor allem eine Firma entgegen: der Er­finder selbst, die Intel Corp..

Be­richtet Gates: »Paul und ich schrieben an Intel, um den Leuten dort zu erzählen, was für ein unglaubliches Gerät sie da erfunden hätten.«[4] Der Brief war ein einziger Reinfall. Denn die Ingenieure woll­ten von solchen Phan­ta­­stereien nichts wissen. Sie antworteten noch nicht einmal. So nüchtern, schüchtern sahen sie ihre eigene Kreation.

So stellte sich übrigens bereits 1983 Windows vor - als DOS-Aufsatz und als Gamma-Version.


5.4 Ted Hoff und die Wilde 13

Vielleicht hing dies damit zusammen, dass die Erfindung des Mikro­prozessor von 1969 eigentlich eine Zufallsschöpfung gewesen war. Er war nicht das Ergebnis langjähriger intensiver Grundlagen­for­schung - durchgeführt von äußerst ernst­haften Wissenschaftlern, de­ren ganzes Streben auf einen Nobel-Preis ausgerichtet ist. Er war nichts anderes als das Ergebnis einer Auftragsarbeit.

Und die kam so zustande: die japanische Firma Busicom hatte 1969 beschlossen, eine Serie von wis­senschaftli­chen Taschen­rechnern auf den Markt zu bringen. Den entsprechenden Ent­wick­lungs­auftrag dazu hatte sie an Intel vergeben. Die Firma, 1968 mit einem Start­geld von 1,3 Millionen Dollar gegründet, machte sich so­fort an das Rechenwerk der Re­chenzwerge.[5] Dieses nicht unbeträchliche Riskokapital zusammengetragen hatten die beiden Fairchild-Genies Robert C. Noyce und Gor­don Moore gemeinsam mit dem Exil-Ungar Andrew Grove. Der Firma war von den Venture-Kapitalisten eine große Zukunft prog­nostiziert worden.

Das Dreigehirn des Erfolgs: Robert Noyce, Gordon Moore und Andrew Grove von Intel, 1979 in einer Titelgeschichte von Business Week

Mit zwölf Mitarbeitern hatte Intel 1968 begonnen. Unter ihnen war seit dem 1. September ein junger Informatik-Doktor aus Rochester (New York) namens Marcian E. Hoff, kurz Ted genannt. Er sollte Chef des Bereichs Angewandte Forschung werden. Und der Busicom-Auftrag fiel genau in sein Res­sort.[6] Gemeinsam mit Dr. Gordon Moore hatte sich Ted Hoff die Spezifikationen genau angesehen. Das Projekt ad­res­sierte nicht weniger als »13 unterschiedliche und komplexe Pro­­zes­­soren. Das war weitaus mehr, als unsere kleine Ingenieur­firma eigentlich leisten konnte«, erinnert sich Moore.[7] Schlimmer noch: es verlangte die Integration von jeweils 3.000 Transi­stor-Funktionen auf einem Chip. State of the Art waren damals 1.000 Transistoren. Eine Katastrophe bahnte sich an. Da meinte plötzlich Hoff: »Ich kann all dies erle­di­gen, in dem ich die Archi­tek­tur eines Universalrech­ners nehme«‑ und auf einem einzigen Chip reali­siere. So ließen sich die 13 wilden Designs bändigen. Der Trick dabei: anstatt alle Funktionen direkt in den Chip zu gießen, sollte er programmierbar sein. Auf diese Weise wür­de er mehr können als die vier Grundrechenarten. Mit ihm lie­ßen sich gar statistische Auswertungen realisieren. Selbst die Zahl »Pi« könne damit bei weiterem Ausbau des Designs auf 120 Stellen hin­ter dem Komma ausrechnen.

Die japanischen Auftraggeber hielten anfangs nicht viel von diesem Super-Chip. Ihr Ziel: Sie wollten kaufmännische Rechenmaschinen in großen Stückzahlen produzieren. Mit Pi konnten sie gar nichts anfangen.[8] Dennoch stimmten sie dem Projekt zu.

Natürlich war den Intel‑Leuten bald klar, dass sie die­­sen Mikro­prozessor für alles Mögliche nutzen konnten ‑ zur Steu­erung von Maschinen, Ver­kehrs­ampeln bis hin zu elektrischen Haushaltsge­rä­ten. Als Busicom in finanzielle Turbulenzen geriet kaufte Intel für 60.000 Dollar die Rechte an dem Mikroprozessor zurück. Die er­sten Prototypen entstanden. Im November 1971 war es dann soweit: der »Computer auf einem Chip«, der Intel 4004, wurde vor­gestellt. Er beherrschte 45 verschiedene Funktio­nen. Seine Leistung entsprach der von ENIAC, dem Röhrenrechner von 1946. Trotz dieses Vergleichs - auf die naheliegendste An­wen­dung kamen die Intel-Ingenieure nicht: als Herzstück für Computer.


5.5 Alter Ego »Altair«

Die Titelgeschichte, die 1975 das PC-Geschäft zum Laufen brachte...

Diese Möglichkeit sahen die Erfinder auch nicht, als Gates Brief bei ihnen hereinflatterte. Wer war schon die­ser Jüngling? Ein Träumer und Phantast?

Doch dann veröffentlichte die Zei­tschrift Popular Elec­tro­nic im Januar 1975 eine Titelgeschichte über den historisch ersten voll ent­wickelten Mikrorechner. Der Name der Wunderschachtel: Altair. Sein Herz­stück war ein Prozessor 8080. Das war genau jener 8-Bit‑Rechner, den Intel 1973 erstmals vorgestellt hatte und mit dem Gates experimentiert hatte.[9] Nun hatte dieser Mikro sein Alter Ego gefunden: als Computer.

Um das zu sein, hatte der Altair vor allem einen Spei­cher benö­tigt. Er war von 256 Bytes auf 64 Kilobytes aus­bau­bar. Sein Grund­­preis be­trug ohne Gehäuse 275 Dollar, mit Blechkleid 395 Dol­lar. Konstruiert hatte den Mikro ein Arzt und Elektroingenieur namens Ed Roberts. 1969 hatte er gemeinsam mit drei Freunden die Firma Micro Instrumentation Telemetry Systems in Albuquerque (New Mexico) gegründet. Sie bauten Funksteuerungen für Modellflugzeuge. Auffällig wurde die junge Firma dann 1971 als sei einen der ersten programmierbaren Taschenrechner entwickelte. Doch gegen die große Konkurrenz wie Hewlett-Packard und Texas Instruments kam die Firma nicht an. 1974 machte MITS einen Verlust von 350.000 Dollar. Was nun? Roberts stürzte sich in das Design des Intel-Prozesssors 8080 und baute rund um diesen Chip einen Computer. Doch der Firma ging es immer schlechter. Erinnert sich der Vater des Personal Computers, der auch als erster diesen Namen prägte: »Wir waren finanziell völlig ausgequetscht. Wir gingen zu unserem Banker und sagten zum ihm: ´Sehen Sie, wir haben dieses Produkt, mit dem wir nun auf den Markt kommen wollen. Wir denken, es ist wirklich großartig. Sie müssen uns weitere 65.000 Dollar geben.« Sie bekamen das Geld - und die Titelstory.[10]

Ansicht eines ALTAIRs

Kaum war die Geschichte erschienen, hatte Roberts’ Firma MITS aus Albu­querque in New Mexico 4.000 Be­stel­lun­gen. Im März begann sie mit der Ausliefe­rung. Doch das große Handicap des kleinen Tausend­sas­sas war, dass er nur in der Maschinensprache programmierbar war. Er­gebnis: nur echte Freaks konnten damit umgehen.

Das Geschäft blühte so richtig auf, nachdem Bill Gates und Paul Allen ihren BASIC Interpreter auf der Maschine lauffähig ge­macht hatten. Und das kam so: Überwältigt von der Ankündigung hatten Gates und Al­len prompt ein Treffen mit Roberts vereinbart. Im Februar 1975 trafen sich die Drei in Albuquerque. Allen krempelte die Ärmel hoch und fütterte den Altair mit Basic-Befehle. Kurz darauf spielte er das erste Video­spiel, das je auf einem PC gestartet wurde: eine Simula­tion der Mondlandung. Der Altair-Meister war begeistert und schloss mit den beiden Jünglingen einen Vertrag, der ihm für den Intel 8080 weitgehende Rechte an dem Basic-Interpreter zugestand. Gates und Allen durften zwar Lizenzen an andere vergeben, doch nicht an Wettbewerber. Und das war kein Problem, weil es keine Wettbewerber gab. MITS prosperierte und setzte 1976 rund 13 Millionen Dollar um. Doch im Hintergrund lauerten bereits Commodore mit ihrem PET (1977) und Tandy mit ihrem TRS-80, der von Radio Shack vertrieben werden sollte. Und auch Apple machte sich auf, ihren ersten Computer vorzustellen. Immer mehr Firmen meldeten zugleich Interesse an dem Sprach-Wunder von Microsoft. Doch Roberts legte immer wieder sein Veto ein. Für den ehrgeizigen Gates war dieser Zustand unhaltbar. Geradezu bedrohlich wurde die Situation, als sich Roberts nach einem Käufer für seine Firma umschaute. Und tatsächlich: am 22. Mai 1977 ging MITS, die bis dahin 30.000 Altairs verkauft hatte, im Aktientausch von sechs Millionen Dollar an den Speicherhersteller Pertec Computer Corp. [11] Roberts zog sich nach Glenwood in Georgia zurück und wurde Arzt.

In der Zwischenzeit hatte die kleine Microsoft (Umsatz 1977: 500.000 Dollar) trotz des Rechtsstreits mit MITS und Pertec ihr Basic für andere Prozessoren ausgelegt. Außerdem arbeitete die Firma an anderen Sprachen wie Cobol und Fortran. Und so waren Gates und Allen bestens präpariert, als im August 1977 der TRS-80 auf der Grundlage des Chips Z-80 von Zilog auf den Markt kam. Und dann waren die beiden auch noch mit Apple im Basic-Geschäft, die ihren Apple II mit dem Motorola-Prozessor 6502 ausstattete. Zu diesem Zeitpunkt war der Sitz von Microsoft noch in Albuquerque. Das war zwar der Geburtsort des PCs, doch die beiden trieb es zurück in ihre Heimat. Vielleicht wäre das Silicon Valley der bessere Ort gewesen, aber Gates und Allen entschieden sich für Bellevue im Staate Washington. Als sie dann tatsächlich Ende 1978 umsiedelten, war der Altair längst vom Markt verschwunden.[12] Zu diesem Zeitpunkt hatte der junge Gates eine Vision. Er träumte von großen Firmen, die eines Tages den Markt mit Mil­lio­nen von Mikro­rechnern füllen würden. Er ahnte nicht, dass er von dieser Vision nur noch wenige »Fingertips« entfernt war.


5.6 Im Spielsaal der Geschichte

Kalte Füße. Zwei Jahr später, in dieser Herbstnacht des Jahres 1980, war diese Chance zum Greifen nah. Nun saß Gates mit seinen besten Freunden zusammen - und zögerte. Er musste sich entscheiden. Entweder blieb Microsoft die ewige Basic-Bastelstube, oder sie hievte sich mit Hilfe von IBM, der bis dahin größten Computerfirma, in die Weltliga. Doch der Jungunternehmer be­kam kalte Füße. Er hatte Angst vor seiner ei­ge­nen Courage. Es ging nicht mehr nur darum, die Mikro-Welt zu interpretieren, sondern sie zu steuern. Natürlich wusste Gates, wie wichtig Betriebssysteme waren. Im Februar hatte er mit American Telephone & Telegraph über eine Unix-Lizenz in der damals populären Version 7 verhandelt, die er unter dem Namen Xenix vermarkten wollte.[13] Für die Adaption auf Mikrorechner hatte er die Santa Cruz Operation (SCO) angeheuert. Aber all das waren keine eigenen Lösungen. IBM wollte außerdem kein Unix, die Lizenz hätte sie selbst bei AT&T erwerben können.

Chess war kein Spiel, war auch kein »Jugend-forscht“-Programm. Chess oder Acorn war ein aus­ge­wach­se­ner Computer, 16‑Bit stark. Vor allem: der Partner IBM war kein Altair, kein Roberts, sondern ein Gigant, der die größten und vornehmsten Firmen der Welt zu sei­nen Kunden zählte und jederzeit die besten Anwälte rekrutieren konnte. Auch wenn der PC sich nicht an das DV-Management richten sollte, so war doch klar, dass ein BASIC‑Interpreter al­lein nicht genügen würde, um Millionen von Novizen an­zulocken. Nur ein regelrechtes Betriebssystem konnte die Basis für eine Anwendungsvielfalt bilden. Insofern war IBMs Ansatz völlig richtig. Aber war seine Microsoft der richtige Partner?

Das war die entschei­den­de Frage, die Gates mit seinen beiden Freunden beantworten musste. Die Situation war schwierig. Immerhin hatte schon jemand anders diesen Auftrag abgelehnt - jemand, der nun wirklich Erfahrung im Bau von Betriebssystemen hatte: die Fir­ma des Dr. Gary Kildal, die Digital Research Inc. (DRI) aus Pacific Grove in Kalifornien.

Die Geschichte von Digital Research hatte 1976 im Spiel­saal eines Strandhauses in Monterey begonnen hatte. So erzählt es je­den­falls die Le­gen­de...

Gründer Dr. Gary Kildall hatte justament als Ingenieur völlig frustriert seinen bisherigen Ar­beitgeber, Intel, verlassen. Auf Knien hatte er das Management angefleht, doch ein Be­triebs­system für den 8080-Mikroprozessor zu entwickeln. Er hatte am Ent­stehen dieses Chips ebenso mit­gewirkt wie an dem Vorgänger Intel 4004.[14] Nun musste dem Tausendsassa nur noch Software-Leben eingehaucht werden. Aber Kildall war mit seinem Rat ebenso reingefallen wie Gates mit seinem Brief. So kündigte er kurzent­schlossen. Während sich Gates fortan mit Basic-Arbeit beschäftigte, suchte der Ex-Intelianer als freier Unter­neh­mer eine ganz andere Basis: er entwickelte CP/M. Kildall: »Wir schrieben CP/M so, dass es nicht an eine bestimmte Hard­ware gebunden war. Man braucht ei­gentlich nur bestimmte gemeinsame Features« - wie zum Beispiel ein Floppy-Laufwerk oder mindestens 16 Kilobytes Haupt­speicher. Revolu­tionär war auch der Preis: 150 Dollar kostete das Be­triebs­system. Das war so preiswert, dass sich jeder Anbieter dreimal überlegte, ob er dem CP/M eine Eigenschöpfung entgegen­setzen sollte.[15] Die Fach­zeitschriften waren in den ersten Jahren des Mikro-Wunders voll mit Berichten über die­ses Be­triebssystem, für das es auf seinem Höhepunkt 4.000 An­wen­dungen gab.[16]»CP/M kam bei den ersten Personal Computern der Idee eines Stan­dards am näch­sten«, rühmt Business Week dieses Pro­dukt.[17] Di­gital Research setzte 1980 drei Mil­lio­nen Dollar um und verkaufte mehr als 200.000 Lizenzen.[18] Sie war nun die Firma, auf die alle Hersteller von Mikro­pro­zes­soren hör­ten: Intel eben­so wie Motorola oder Zilog, übrigens ein Tochter­unternehmen des Ölgiganten Exxon. Nur Hersteller wie Apple und Commodore woll­ten von Digital Research nichts wissen. Sie setzten auf eigene Lösungen.


5.7 Bill & Kildall

Für Bill Gates war klar, dass nur Kildall in der Lage war, ein Be­triebs­system zu entwickeln, wie es IBM für ihren Acorn brauch­te. So hatte er denn auch dem Giganten ohne Zögern im Juli 1980 empfohlen, sich mit Digital Research in Verbindung zu setzen. Zu dieser Firma unterhielt er zudem so etwas wie freund­schaftliche Kontakte.

Die beiden Gesellschaften hatten eine lockere Interessensgemeinschaft gebildet, Gates hatte sogar 1978 erwogen, die beiden Firmen zusammenzulegen. Sie ergänzten sich prächtig. So hatte 1980 Microsofts frischgebackene Consumer Product Di­vision ein Produkt namens Softcard entwickelt - es war der er­ste Vorstoß ins Hardware-Geschäft (später kam die Microsoft-Mouse hinzu). Diese Steckkarte erlaubte es, dass CP/M-kompatible Software auch auf einem Apple II gefahren wer­den konnte, in dem sie den Rechner unter die Steuerung eines auf der Karte residenten Z80 nahm.[19] Auf diese Weise sollte die App­le-Welt geknackt werden. Der Run um die Standards hatte begon­nen. 5000 dieser Steckkarten, so hatte Microsoft gehofft, wollte sie verkaufen. Noch ahnte sie nicht, dass es rund 100.000 werden sollten.[20] Aber eins wurde schon jetzt deutlich: Im PC-Geschäft kooperierten und konkurrierten dieselben Firmen gleichzeitig miteinander ganz nach Lust und Laune. So hatte Kildall auch nicht gezögert, sein CP/M um ein eigenes Basic zu erweitern, während er zugleich mit Microsofts Softcard im Apple-Markt räuberte. Doch der Meister in diesem Geschäft sollte Microsoft werden, indem sie zehn Jahre später mit Windows ihren einst übermächtigen Partner IBM an der Nase herumführte.

Noch war es nicht soweit. Noch war Microsoft der Juniorpartner, der sich mächtig geschmeichelt fühlte. Die große IBM war auf die Jünglinge zugegangen. Welch eine Anerkennung! Warum aber war Kildall aus dem Rennen? Er arbeitete doch längst an der Erweiterung seines CP/M auf 16-Bit-Sy­ste­me. Er hatte das, was IBM suchte.


5.8 Der horizontale Verbund

Überhaupt - die PC-Szene war noch sehr jung. Trotzdem hatte sie bereits eine komplette virtuelle Gemeinschaft aufgebaut, einen horizontalen Verbund von Unternehmen, die alles besaßen, was ein Hersteller wie IBM für sein Debüt in diesem Markt benötigte. Neben Microsoft und Digital Research war da zum Beispiel noch ein sehr erfolgreicher Software-Verlag namens Lifeboat Associates. 1978 in New York ge­gründet, be­saß er einen Katalog von 200 Programmen, die alles ab­deckten, was ein Benutzer sich damals wünschen mochte. Life­boat war zu jener Zeit der größte Software-Publisher der Welt - mit Nie­derlassungen in der Schweiz und in Japan. Über ein Joint-Ven­ture war es auch in der Bundesrepu­blik präsent. Das größte Pro­blem: »Wir haben niemanden, den wir kopieren können - es gibt kein Vorbild. Wir müssen die ganze Zeit Neuland erobern«, stöhn­te Anthon R. Gold, Mitgründer des Unternehmens. Mit dabei war auch die Personal Software Inc. aus Sunnyvale, die mit ihrer Tabellenkalkulation VisiCalc nicht nur die Apple-Welt, sondern auch die CP/M-Szene glücklich machte. Auch dieses Unternehmen war bislang ohne Vor­bild.

Von diesen Pionieren konnte IBM nun voll profitieren. Eigentlich brauchte sie nur der Empfeh­lung zu folgen, die Life­boat-Präsident Gold so formulierte: »Es ist wesent­lich, dass ein Computerhersteller bereits dann mit der Zusammenarbeit mit Softwarehäusern beginnt, wenn er das Design seines Systems plant. Dann kann eine kooperative und von Sympathie getragene Be­ziehung entstehen.«[21] IBM war als Späteinsteiger in der vorzüglichen Lage, die Wettbewerber zu stu­dieren - und zu lernen, von ihren Stärken und Fehlern. Zum Bei­spiel von Texas Instruments: Die Firma war Anfang 1979 in das Ge­schäft eingestiegen. Sie hatte ein relativ geschlossenes System angeboten, das es Software-Entwicklern schwer machte, An­wen­dun­gen zu schreiben. Diese mussten nämlich dazu einen Minicomputer (Preis: 50.000 Dollar) erwerben. Dazu war kaum jemand in der Lage oder bereit. Ergebnis: es gab nicht genügend Software. »TI machte einen strategischen Fehler, indem sie nicht den Markt für Third-Party-Software anregte«, befand Edward E. Faber, Gründer der Händlerkette ComputerLand.[22] Die Kunst der Kooperation hatte IBM genau studiert, trotzdem unterlief auch ihr eine Panne, die letztlich schicksalsentscheidend für das ganze PC-Geschäft werden sollte.


5.9 Die Panne namens Sams

IBM hatte Gates Rat­schlag durchaus aufge­grif­fen und Kon­takt mit Digital Research aufge­nommen. Ein Termin war vereinbart wor­den, der dann auch von einem IBMer wahrge­nommen wur­de. Dessen vollständiger Name war lange Zeit unbekannt, nur über seinen Nachnamen gab es ei­nen einzigen, winzigen Hinweis in der Fachliteratur: Er soll Sams gehei­ßen ha­ben.[23] In ihrem Buch »Hard Drive« haben die beiden Autoren James Wallace und Jim Erickson, Reporter bei der Tageszeitung Seattle Post-Intellgencer, dann den richtigen Namen herausgefunden: Jack Sams.

Sams’ Meeting mit Digital Research war eine einzige Katastrophe. Statt Kildall war nur dessen Frau Dorothy McEwen da. Angeb­lich soll der Chef beim Fischen gewesen sein. [24] Das Magazin For­tu­ne behauptet, Kildall, ein leidenschaftlicher Hobbyflie­ger, hät­te sich zu diesem Zeit­punkt mit seiner zweimotorigen »über den Wolken befunden«. Ob beim Fischen oder Fliegen - Fakt ist, dass Kildall nicht da war.[25]

Sams war einver­stan­den, nun statt mit Kildall mit dessen Frau zu reden. Doch zual­ler­erst verlangte er, dass DRI ein Geheim­hal­tungs­abkommen unterschreiben solle. So etwas hatte die Vizepräsidentin, die alle juristischen Ange­le­gen­heiten re­gelte, noch nie gesehen. Verblüfft nahm sie wahr, wie weit die Vereinbarung ging. Nein, das war ihr zu­ viel. Sie weigerte sich zu unterschreiben.

Der IBMer war hartnäckig. Er bot an, in der Lobby auf den Chef zu warten. So vergingen die Stunden. Schließlich am späten Nach­mit­tag traf der Chef ein. Endlich konnte es losgehen. Der IBMer er­klärte dem Gründer, warum er ohne seine Unterschrift nicht ver­handeln könne. Kildall hatte ein Einsehen, bestand aber auf ei­ni­gen Abänderungen. In zwei Wochen könnten sie dann den Ver­trag unterschreiben.

Doch dann ging der ganze Deal in den Wirren der Gründertage un­ter. IBMs Entry Systems kam zu dem Eindruck, dass Digital Re­search kein Interesse habe. Vice versa. Als Kildall dann bei der IBU anrief und nach Sams verlangte, war dieser nicht aufzufinden. In diesen chaotischen Tagen war er ständig unterwegs, um neue Kontakte zu knüpfen. Kildall aber hatte den Eindruck, dass Sams die Entry-Truppe verlassen und in den Tiefen des Computer-Imperiums auf Nim­mer­wiedersehen verschwun­den sei. Der Chef von Digital Research wusste nicht, mit wem er weiter verhandeln sollte. Er blieb in den Vorzimmern stecken und war schließlich beleidigt. Umgekehrt schien die Entry Systems ent­täuscht über Kildalls restriktives Verhalten - und verlor die Lust an einer weiteren Kontaktaufnahme. Derweil drängte die Zeit. Schließ­lich blieb nur noch einer übrig: Mi­cro­soft. Deren Grün­der hat­te sich schon in den Vorgesprächen viel offener gezeigt. Außerdem war das Team von seiner Kompetenz ungemein angetan. Und er hatte sicherlich auch kei­ne Probleme mit irgendwelchen Non-Disclosure-Agreements.

So waren Philip Estridge und seine Gefolgsleute quer über den Kon­tinent geflogen, von Boca Raton nach Seattle, um hier mit Bill Gates zu verhandeln. Der Inhaber zeigte Interesse, wollte aber noch keine endgültige Entscheidung fällen. Zuerst wollte er seine Freunde fragen. Er steckte mitten in einer Grenz-Situa­tion, aus der er sich allein nicht befreien konnte. Deshalb hat­te er seine Freunde eingeladen.

An diesem Abend im Spätherbst 1980 sollte nun die Ent­schei­dung fallen. Hin und her ging die Diskussion zwischen Bill, Paul und Kazuhiko. Schließlich sprang sein japa­nischer Freund auf und schrie: »Mach’ es! Mach’ es!« Und er wirkte so über­zeugend, dass Gates schließlich mit einem leisen »Yeah«ein­willigte.[26]

Yeah, yeah, yeah - IBM hatte endlich ihren Vertrag. Der Urschrei. Das Tor zum Markt war endlich weit geöffnet.

Die Geschichte des PCs TEIL 1 // TEIL 2 // TEIL 3 // TEIL 4 // TEIL 5 // TEIL 6 // TEIL 7 // TEIL 8 (Ende) //

[1] Electronics, 21.4.1981, R. Colin John­son: »Gates, a microprocessor language millionaire«

[2] Electronics, 21.4.1981, R. Colin John­son: »Gates, a microprocessor language millionaire«

[3] Wall Street Journal, 28.8.1986, Michael W. Miller: »How 2 computer nuts transformed industry before messy break-up«

[4] Financial Times, 19.9.1988, Alan Cane: »Riding on all the hor­ses«

[5] Financial Times, 8.11.1989, Terry Dodsworth: »A risk ride but a good track record«

[6] Frankfurter Allgemeine Magazin, 28.6.1991, Horst Rade­macher: »Auch der schönste Chip verblaßt vor seinem Nachfol­ger«

[7] Financial Times, 8.11.1989, Terry Dodsworth: »A risk ride but a good track record«

[8] Frankfurter Allgemeine Magazin, 28.6.1991, Horst Rade­macher: »Auch der schönste Chip verblaßt vor seinem Nachfol­ger«

[9] Electronics, 21.4.1981, Tom Manuel, R. Colin John­son: »Buying software gets systems to market sooner«

[10] Computerworld, 3.11.1986, David Bright: »Father of PC dons new hat studying medicine«

[11] Computerworld, 3.11.1986, David Bright: »Father of PC dons new hat studying medicine«

[12] Personal Computer World, 10/1992, James Wallace/Jim Erickson: »Hard drive«

[13] Electronics, 21.4.1981, R. Colin John­son: »Gates, a microprocessor language millionaire«

[14] Financial Times, 5.11.1982, Alan Cane: »`Most important single piece of software´«

[15] Financial Times, 5.11.1982, Alan Cane: »`Most im­por­tant single piece of software'«

[16] Financial Times, 5.11.1982, Alan Cane: »`Most im­por­tant single piece of software'«

[17] Business Week, 5.8.1985, Richard Brandt: »Digital Re­search: Trying to write new programs for success«

[18] Electronics, 21.4.1981, Tom Manuel, R. Colin John­son: »Buying software gets systems to market sooner«

[19] Electronics, 21.4.1981, R. Colin John­son: »Gates, a microprocessor language millionaire«

[20] Personal Computer World, 11/1992, James Wallace/Jim Erickson: »Hard drive«

[21] Electronics, 21.4.1981, R. Colin John­son: »Gates, a microprocessor language millionaire«

[22] Business Week, ??.11.1980: »Personal computers: TI's jazzed-up pitch«

[23] Creative Computing, 12/1981: »The IBM personal computer«

[24] Newsweek, 24.8.1981, Merrill Sheils, Hope Lambert: »The Giant Vs. the Little Guy«

[25] Fortune, 21.1.1985, Jaclyn Fierman: »A fallen software star tries a comeback«

[26] Wall Street Journal, 28.8.1986, Michael W. Miller: »How 2 computer nuts transformed industry before messy break-up«