3. Der Volks-Empfänger
San Francisco. Dienstag, 24. Januar 1984. Schon an den Tagen zuvor hatten Firmengründer Steven Jobs, 28, und sein Präsident John Sculley, 45, (Jahresbezüge: zwei Millionen Dollar) mindestens 60 Interviews gegeben. Journalist nach Journalist betrat die zu einem Tagespreis von 575 Dollar gemietete Suite im Hotel Carlyle in San Francisco, um dem Traumpaar des Silicon Valleys immer wieder dieselben Fragen zu stellen. Arrangiert worden war das alles von dem PR-Agenten Regis McKenna, der insgesamt zwölf Titelstories in den Fachmagazinen angeleiert hatte.
Jobs und Sculley hatten mit wachsender Routine jede Frage beantwortet. Sie hatten sich dabei die Bälle gegenseitig zugespielt wie zwei professionelle Nachrichtenmoderatoren, registrierte das Wall Street Journal.[1]
Das ganze Brimborium war eine absolute Antithese zu IBMs PR-Verhalten. »IBM gibt einem eine Presseerklärung und führt einen durch die Pressekonferenz. Da ist kein Zirkus, niemand wird angegriffen. Es gibt keine Mißverständnisse. Alles ist sauber«, beschrieb Stewart Alsop, Chefredakteur des Fachblattes InfoWorld und heute Kolumnist bei Fortune, die ihm angenehmere Big Blue-Attitüde.[2]
Doch Apple wollte die Show, weckte die Emotion und provozierte das Feindbild - so wie es Sculley bei seiner früheren Firma gelernt hatte: bei der damals 7,5 Umsatzmilliarden (Dollar) schweren Pepsi-Cola Co.. Deren Präsident mit einem Jahresgehalt von zuletzt 500.000 Dollar war er fünf Jahre lang gewesen, bevor er am 2. Mai 1983 bei Apple anheuerte. Hier löste er A.C. »Mike« Markkula Jr. damals 41, ab, der ganz einfach »seine Grenzen« erkannt hatte und abtreten wollte.[3]
Nun sollte ein brillanter Marketing-Mann kommen - einer aus der Pepsi-Generation. Hier hatte Sculley einen erfolgreichen Werbefeldzug gegen den Erzfeind Coca-Cola geführt. Hier war er, der 16 Jahre der Firma gedient hatte, bereits als Nachfolger für den legendären Pepsi-Boß Donald M. Kendall gehandelt worden. Immerhin war Kendall sein früherer Schwiegervater gewesen. Doch Sculley, der Architektur studiert hatte, sah keinen Spaß mehr in der Firma, die vor gestillten Märkten stand. Hier hieß es den täglichen Kampf um ein halbes Prozent mehr Marktanteile anzutreten. In der Computerbranche ging es noch ums Ganze, an dem seiner Meinung nach in spätestens drei Jahren nur noch fünf Anbieter überleben würden. Und da sollte Apple zu den Siegern gehören.[4] »Ich bin ein Aufbauer, kein Controller oder Bewahrer«, charakterisierte er sich selbst gegenüber Business Week.[5] »Ich habe meine gesamte Karriere in einer hochgradig wettbewerbsintensiven Branche verbracht. Coca-Cola ist ein recht hübscher Wettbewerber.«
Nun wollte er einen neuen Gegner, einen, gegen den er sein ganzes Können neu einbringen konnte. Nicht mehr in der Soft-Drink-Branche, sondern im knallharten Hardware-Business. Und knallhart gingen Sculley & Jobs gegen Big Iron, gegen IBM, vor, wie die Ankündigung des MacIntoshs am 24. Januar 1984 zeigte.
Steven Jobs betrat das Podium. Der Mac war sein Baby. 1979 hatte er erstmals PARC besucht und dort all die Innovationen gesehen, die er nun mit dem Mac realisieren wollte.[6] Gegen IBM. Und schon heizte er im Stil eines Laienpredigers sein Publikum. Er forderte es heraus. »IBM will alles, und sie zielt mit ihren Geschützen auf das letzte Hindernis, das ihr noch auf dem Weg zur Branchenkontrolle fehlt: Apple. Wird Big Blue die gesamte Computer-Industrie kontrollieren? Hatte George Orwell recht?« Und die Menge, bestehend aus Händlern, Kunden und Mitarbeitern, schmetterte ihm ein tausendfaches Nein entgegen.[7]
Damit es auch beim Nein blieb, enthüllte Jobs den MacIntosh. Sein Preis: 2.495 Dollar gegenüber 3.000 Dollar, die ein ähnlich ausgestatteter IBM PC kostete. War dieser ein 16-Bitler von Intel, so hatte der Mac bereits einen 32-Bitler von Motorola in sich. War der IBM PC ein klassischer Dreiteiler (Bildschirm, Systemeinheit, Tastatur), so hatte der Mac das Outfit eines von Sony gestylten Volksempfängers. War der PC-Bildschirm monochrom grün, so war Macs Mattscheibe schwarz-weiß. Hatte der PC 5,25 Zoll Disketten, so war sein neuer Konkurrent mit einem 3,5 Zoll-Laufwerk ausgestattet. Erst 1987 mit der Ankündigung des PS/2 sollte IBM auf diesen neuen Standard setzen.
Der größte Unterschied bestand indes darin, daß der Mac nicht IBM-kompatibel war: »Wir hatten darüber nachgedacht. Wir hätten es tun können und wir hätten damit eine Menge Geld verdienen können, aber seine Technik wäre uns nicht gut genug gewesen«, kanzelte Jobs den Rivalen ab.[8] Der eigentliche Grund lag tiefer: Benutzerfreundlichkeit »war das einzige Argument, mit dem man IBM bekämpfen kann«, meinte damals Jean Yates, Präsidentin der Analyse-Firma Yates Venture in Los Altos (Kalifornien).[9] Die Grafikorientierung war die wichtigste Trumpfkarte, die Apple im Ärmel hatte. Und die hatte sie nun an diesem 24. Januar 1984 ausgespielt. Fazit: »Es gibt keinen Zweifel, daß Apple nun einen Gewinner besitzt«, kommentierte Aaron Goldberg, Analyst bei IDC, die Ankündigung.[10]
Ja, Apple hatte einen Gewinner - doch nicht da, wohin sie sich heimlich hinsehnte: bei den Großunternehmen. Hier blieb Mac (bis heute) eher ein Mauerblümchen. Daran änderte auch der ganze Werberummel nichts. So kaufte Apple nach der triumphalen Wiederwahl von US-Präsident Ronald Reagan, dem früheren Gouverneur im Apple-Staat Kalifornien, im November 1984 die komplette Werbefläche einer Sonder-Ausgabe von Newsweek. Knapp ein Drittel des Umfangs hatte Apple mit ihren Insertionen besetzt.
Auch IBM hatte mit ihrem PC einen Gewinner - aber nicht da, wohin sie sich heimlich hinsehnte: bei den Konsumenten. »Das elektronische Heim wird der größte Kampfplatz werden, den die Revolution in der Informations-Technologie bislang erzeugt hat«, hatte noch im September 1983 John Imlay, Gründer des Softwarehauses Management Science of America (MSA) erklärt. Er mochte damit recht haben, wenngleich sich dies erst in den neunziger Jahren erfüllen sollte.[11]
So unterschiedlich im Temperament die beiden Kontrahenten, IBM und Apple, waren in einem Punkt waren sie sich auf kuriose Weise sehr nah gekommen. Jeder kopierte nämlich die Strategie des anderen: Apple, indem sie mit dem Mac ein geschlossenes, sehr proprietäres System vorstellte, wie man es in dieser Form nur von IBM kannte, und Big Blue hatte bei der Vorstellung ihres PCs die Apple-Strategie der siebziger Jahre imitiert: totale Offenheit.
Die Geschichte des PCs TEIL 1 // TEIL 2 // TEIL 3 // TEIL 4 // TEIL 5 // TEIL 6 // TEIL 7 //
[1] Wall Street Journal, 24.1.1984, Erik Larson, Carrie Dolan: »Apple courts the press as it prepares ton unveil Macintosh Model today«
[2] Wall Street Journal, 24.1.1984, Erik Larson, Carrie Dolan: »Apple courts the press as it prepares ton unveil Macintosh Model today«
[3] Wall Street Journal, 12.4.1983, Janet Guyon, Erik Larson: »Apple`s new chief aims to build loyalty«
[4] Wall Street Journal, 11.4.1983, Janet Guyon, Erik Larson: »Apple Computer picks Sculley as President, Chief Executive«
[5] Business Week, 25.4.1983: »Why Sculley gave up the Pepsi Challenge«
[6] Business Week, 26.11.1990, John W. Verity: »Rethinking Computers«
[7] Time, 15.7.1991, Thomas McCarroll: »Love at first byte«
[8] Financial Times, 2.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
[9] Wall Street Journal, 9.12.1983, Charlie Dolan: »Apples long awaited Macintosh computer is viewed as critical to company`s future«
[10] Financial Times, 32.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
[11] Financia Times, 30.9.1983, Alan Cane: »Suddenly, the great software bonanza«
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