2.3 Die Restauration ernährt ihre Kinder
San Mateo. Mittwoch, 19. Januar 1983. Für Apples damaligen Präsidenten A.C. »Mike« Markkula Jr. war Lisa ein »Traum von einem Computer«. So hatte er sich an diesem Mittwoch vor den Aktionären auf der Jahreshauptversammlung geäußert. 583 Millionen Dollar Umsatz hatte Apple 1982 gemacht. Das war ein Wachstum von 74 Prozent. Der Gewinn war um 51 Prozent auf 61 Millionen Dollar gestiegen. Ein stolzes Ergebnis. Die Firma hatte IBMs PC-Schock gut verdaut, auch wenn die Marktanteile nicht zu halten gewesen waren.
Lisas grafische Benutzeroberfläche
Aber mit Lisa, diesem High-Tech-Produkt, strebte Apple ohnehin in andere Gefilde. Weg vom schnöden PC, diesem überschätzten Hobbycomputer, mit dem alles im Juli 1976 begonnen hatte. Damals hatte der kalifornische Computerhersteller mit der Auslieferung seines Apple I begonnen, ein Single-Board-Computer auf der Basis des Motorola-Prozessors 6502.[1] Preis des Ur-Apfels: 666,66 Dollar. Doch aus den Anfangstagen, als den beiden Gründern Steve Jobs und Steve Wozniak das Geld fehlte, um im August 1976 ihre Novität auf der ersten nationalen Mikrocomputermesse im Shelbourne Hotel, Atlantic City, zu präsentieren, war ein stolzes Unternehmen geworden. In den Anfangstagen hatte ihnen ein kleiner Ingenieur namens John Dilk bei Western Electric & Co. (AT&T) geholfen, ein preisgünstiges Hotel zu finden und die Reise nach Atlantic City zu arrangieren.[2] So hatten Jobs & Wozniak ihre Errungenschaft erstmals einem breiteren Publikum vorstellen können. Schließlich hatten sie in Markkula einen Risikokapitalisten gewonnen, der ihnen 92.000 Dollar zur Verfügung stellte.
Doch die Gründer-Jahre waren nun vorbei. Ebenso die Zeit der Hobbycomputer. Hier waren die Preiskriege vorherzusehen, die die alles entscheidenden Roherträge zunichte machen würden. Sicherlich, mit ihrem an diesem Tag ebenfalls vorgestellten Apple IIe war die Firma auch in diesem anonymen Massengeschäft bestens vorbereitet. Statt der 110 Chips, die sein Vorgänger, der Apple II, noch benötigte, kam das neue Low-Cost-Gerät mit 31 aus. Außerdem war die Maschine CP/M-kompatibel und hatte damit eine gewisse Verträglichkeit mit dem Hauptrivalen, dem IBM PC. Doch die Zukunft gehörte den Software-Innovationen, wie sie Lisa besaß, und die ein ganz anderes Publikum adressierten.[3]
Mit ihr sollten 30 Millionen Manager in den USA und in Europa erobert werden.[4] »Lisa wird das obere Ende des PC-Marktes öffnen«, schwärmte damals Portia Isaacson von der Marktforschungsfirma Future Computing. 10.000 Dollar sollte die jüngste Kreation aus dem Hause Apple kosten, die als »revolutionär« von ihren Schöpfern eingeschätzt wurde. Dabei war ihr auffälligstes äußeres Merkmal bereits zwanzig Jahre alt: die Maus.
2.4 Born under a wandering star
1963 hatte Douglas Engelbart am Stanford Research Institute in Palo Alto (Kalifornien) diesen zigarettenschachtelgroßen Cursor-Manipulator erfunden, für den er 1967 das Patent erhielt. Die Erfindung war dann zum Palo Alto Research Center (PARC), dem legendären Forschungsinstitut des Kopiergiganten Xerox, gewechselt, wo sie 17 Jahre warten musste, bis sie 1981 mitsamt einem 50.000 Dollar teuren Computer dem Markt vorgestellt wurde.
Die Maus war die Seele einer Maschine, die unter dem Namen Xerox 8010 Star »Executive Work Station« in die ewigen Geschichtsbücher der Computer-Industrie eingehen sollte. Viele Experten meinen, dass der Xerox-Star mit seinen Anwendungen die letzte große Revolution im PC-Geschäft gewesen sei. »Heute bestehen die meisten Software-Innovationen daraus, ein Produkt durch Größenwachstum zu verbessern«, schimpfte 1998 Yogen K. Dalai, ein Risikokapitalist im Silicon Valley, über aufgeblähte Versionen. wie sie vor allem aus dem Haus Microsoft kamen. »Niemand denkt mehr daran, wie man eine Revolution inszenieren kann, wie sie sich mit Xerox Star ereignete.«
Die Visicalc-Gründer: 1978
Diese Workstation gilt als der Prototyp aller modernen Desktops und inspirierte sowohl den Macintosh als auch Windows, das ab 1983 seine Ideen bei Xerox abkupferte. Und auch nach Einschätzung von Daniel Bricklin, der 1978 das erste Spreadsheet-Programm VisiCalc auf den Markt brachte, waren Ende der neunziger Jahre »nur noch eine bestimmte Zahl von Leuten tatsächlich innovativ.« [5] Ein vernichtendes Urteil!
Die Mutter der PC-Kiste: Bereits 1973 war im Palo Alto Research Center (PARC) von Xerox der erste Prototyp eines modernen PCs entwickelt worden, aus dem 1980 der STAR wurde. Grafische Benutzeroberfläche, Maus und Ganzseitenbildschirm waren die äußeren Merkmale dieser Maschine, bei der alle alles abkupferten - vor allem die Firma, die heute gegen alle anderen Patentkriege führt: Apple. 1979 hatten die Entwickler von Alto, so der Codename der Maschine, den Apple-Gründer Steve Job zu einer Besichtigungstour eingeladen. Jobs müssen die Augen übergegangen sein...
Rund 9.000 Mannjahre an Experimenten und 100 Millionen Dollar an Entwicklungsarbeiten standen hinter dem Xerox Star (Codename Alto). Die Maschine hatte leider einen entscheidenden Nachteil: Sie war ihrer Zeit um mindestens eine Dekade voraus und - gemessen in der Lernkurve des Marktes - auch um zehn Jahre zu teuer. Diese Workstation barg bereits alle Innovationen in sich, von denen wir heute noch reden: Workgroup-Computing. Client/Server-Konzeptes, vorgangsorientrierte Arbeitsweise, graphische Benutzeroberfläche und Objektorientierung.[6] Eine Menge Neuheiten für relativ wenig Geld, wenn man bedenkt, dass Microsoft in den neunziger Jahren für das weitaus weniger innovative Windows 95 rund 150 Millionen Dollar aufbringen sollte.[7]
Wer mit Star arbeiten durfte, war happy. Die Workstation machte süchtig. »Mein Gott! Außerhalb einer Methadon-Klinik habe ich noch niemals eine solche Abhängigkeit gesehen«, erklärte ein Psychologe, der im Auftrag von PARC das Benutzerverhalten studierte.[8] Mit Drogen hatte der Star noch etwas gemeinsam: er war zu teuer.
Obwohl der Preis zuletzt nur noch 16.595 Dollar betrug, war der Star ein Flop. Der Grund: ein Star allein taugte nicht viel. Im Durchschnitt 270.000 Dollar gaben die ersten 70 Anwender aus, um eine Workgroup mit den Rechnern auszustatten. Das Investment war zu hoch, wenngleich die Benutzer durch erhebliche Zeitersparnisse belohnt wurden. Beispiel: Die Vorbereitung einer Patent-Anmeldung - so ergab ein Experiment - verkürzte sich von einem Monat auf eine Woche. Doch die Kunden wollten nicht ein Dutzend, sondern Tausende von Arbeitsplätzen mit solchen Rechnern ausstatten. Damit stieß man in Größenordnungen vor, die bislang dem König der Computer vorbehalten war: dem Mainframe. Gegen ihn war denn auch diese konzertierte Aktion aus Alto-Computern ursprünglich positioniert worden. Das war die Vision: Das Netzwerk sollte der Computer werden und dabei nach und nach Funktionen der Großrechner übernehmen. Das PARC hatte die immensen Potentiale demonstriert und dabei zu Beginn der achtziger Jahre mehr Computer-Power zusammengeschlossen als in irgendeinem anderen Computerzentrum der Welt.[9] Hier stand - so könnte man annehmen - die erste Cloud.
Doch das Konzept ging nicht auf: Der Grund war der PC. Er gab der Geschichte des Computings zuerst einmal eine ganz andere Richtung. Erst zu Beginn der neunziger Jahre wurde unter dem Begriff Client/Server-Computing der verlorene Faden wieder aufgenommen. Und es sollte dann ein Mann namens Bill Gates werden, der unter dem Namen Windows mit dem Look & Feel von Alto ein Weltimperium aufbaute. Sein triumphaler Aufstieg bestätigt dabei ein Gesetz, dem schon IBM in der großen Zeit der Mainframes ihren Erfolg zu verdanken hatte: nicht die Innovatoren, sondern die Imitatoren sind die Sieger.
Der PC: Titelheld auf einem IBM-Geschäftsbericht
Denn auch die im Vergleich zum Vorbild Star erheblich preiswertere Lisa war gegenüber dem PC machtlos gewesen, obwohl Apple für deren Entwicklung ein paar PARC-Leute abgeworben hatten.[10] Dem Starlet drohte alsbald dasselbe Schicksal. Lisa taugte nicht für das Massengeschäft.
Als »Quantensprung« (Business Week) gefeiert, kam die junge Dame nicht aus den Startlöchern heraus.[11] Dabei waren die Hoffnungen so groß gewesen: »Lisa ist ein neuer Typ von Personal Computer, der einen neuen Markt kreieren wird. Apple hat keinen Wettbewerber in diesem Sektor - und wird es auch zumindest für das nächste Jahr nicht haben«, begrüßte die Analystin Portia Isaacson, Präsidenten von Future Computing Inc. in Richardson (Texas), die Apple-Schöpfung.[12] Einen Absatz von bis zu 50.000 Exemplaren soll das Management im ersten Jahr geplant haben, als Gründer und Visionär Jobs der Lisa einen »phänomenalen Erfolg« prophezeite.[13] Doch die Geschäfte gingen nur schleppend, der Preis musste bald auf 8.190 Dollar gesenkt werden, und dennoch wollte Lisa niemand haben. Gerade mal 15.000 Systeme wurden die Kalifornier nach Meinung der Marktforscher von InfoCorp. los.[14]
Die Mausefalle hatten einmal die Apple-Strategen selbst aufgestellt, als sie Lisa in völliger Antithese zum IBM PC als ein geschlossenes System konzipierten. Sie glaubten, dass sich das mit zwei Megabyte Hauptspeicher aufgerüstete Gerät mit seinen sechs integrierten Anwendungen von ganz allein verkaufen würde, und verzichteten auf die Unterstützung von Softwarehäusern.
Zum anderen hatte der Macintosh seine Schwester in eine PR-Falle tappen lassen. Als nämlich Lisa, eine 16/32-Bitlerin auf der Basis des Motorola 68000, im Juni 1983 in die Auslieferung kam, war sie längst aus den Schlagzeilen. Alle Welt sprach nur noch von Apples jüngstem Spross: vom reinen 32-Bitler namens MacIntosh, der mit dem Prozessor Motorola 68020 ausgetattet werden sollte.
Mac und seine Schöpfer
Und das kam so: Während bislang der Name »MacIntosh« nur als ein zukünftiges Produkt gehandelt wurde, war im April 1983 auch schon der erste Kunde bekannt. Die Drexel University in Philadelphia hatte durchsickern lassen, dass sie den Erwerb von 3.000 Exemplaren eines Rechners von Apple Computern plane, der MacIntosh heiße. Von da an war der Name präsent. Der kleine Bruder war Monate vor seiner Geburt in den Schlagzeilen.[15]
Die Gerüchteküche war dann sperrangelweit geöffnet, als Apple 100 Softwarehäuser ermunterte, in die Entwicklung von Anwendungen zu investieren. Ihnen wurde zum Beispiel eine Toolbox mit briefmarkengroßen »Bildsymbolen« zur Verfügung gestellt. Diese alsbald nur noch Icons genannten Pictogramme sollten mit Hilfe der Maus die Fenster zu den Anwendungen öffnen. Was sich damit machen ließ, hatten Xerox’ Star und Apples Starlet Lisa zuvor aufgezeigt. Die grafische Benutzeroberfläche war endgültig auf dem Vormarsch.
IBMs Welt der Großrechner: 1980
Dieser Angriff kam nicht über Terminalnetze, wie IBM sie sich mit der Ankündigung ihres farbigen 3270-PC im Oktober 1983 erträumt haben mochte.[16] Die Ziffer 3270 stand damals für "dumme" Bildschirm-Terminals, heute würde man sagen für Thin Clients, die alle Intelligenz und Anwendungen aus dem Großrechner bezogen. Hunderttausende von 3270-Bildschirmen waren an die Mainframes angeschlossen.
Der IBM 3270-PC
Ihn hatte sie gegen Lisa positioniert, die die Apple-Ingenieure 3270-kompatibel machen wollten. Doch weder Lisa noch der 3270-PC wurden die Grafik-Renner. Der Werbeträger war der Einzelkämpfer namens Mac, der in Prototypen dem staunenden Journalistenvolk gezeigt wurde. »Ich habe Dinge gesehen, von denen ich bisher annahm, dass sie allein von Mainframes geleistet werden können«, schwärmte Starcolumnist Doug Clapp von InfoWorld.[17] Nichts war so unpassend wie der Vergleich des kleinen Mac mit Big Brother...
Die Geschichte des PCs TEIL 1 // TEIL 2 // TEIL 3 // TEIL 4 // TEIL 5 // TEIL 6 // TEIL 7 //
Quellen
[1] Computerworld, 12.7.1999, Leslie Goff, Laura Hunt: »1976«
[5] Wall Street Journal, 26.6.1998, Lee Gomes: »Software Makers Pile On Features«
[6] Fortune, 3.5.1992, Bro Uttal: »What`s detainung the office of the future«
[7] Financial Times, 12.10.1995, Alan Cane: »Why the project team did not win any laurels«
[8] Fortune, 3.5.1992, Bro Uttal: »What`s detainung the office of the future«
[9] Business Week, 26.10.1990, John W. Verity: »Rethinking the computer«
[10] Wall Street Journal, 17.5.1984, Stephen MacDonald: »As Apple Computer hails its `mouse', critics lay traps«
[13] Wall Street Journal, 9.12.1983, Charlie Dolan: »Apples long awaited Macintosh computer is viewed as critical to company`s future«
[14] Financial Times, 2.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
[17] Financial Times, 2.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
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