IBMs große PC-Pleite: PCjr. alias Peanut - Titelheld 1983: Steve Jobs
Von Raimund Vollmer
2. Kleiner Bruder vs. Big Brother
Boca Raton. Sonntag, 22. Januar 1984. Wie alle Amerikaner hatten es sich auch die 10.000 IBMer der blutjungen Entry Systems Division an ihren Farbfernsehern gemütlich gemacht. Der Superbowl stand an diesem Tag auf dem Programm. Die Los Angeles Riders gegen die Washington Red Skins. Der Westen gegen den Osten.
Blick in einen IBM-Laden in den USA: 1981
Doch American Football interessierte die für das PC-Geschäft engagierten IBMer im Unterschied zu den anderen 38,8 Millionen Haushalte nur am Rande. Sie wussten: Heute würden Werbeminuten des ersten Quarters ihrer kleinsten Schöpfung gewidmet sein: dem PC junior. Am 1. November 1983 als Homecomputer für 699 Dollar mit 128 Kilobyte Hauptspeicher angekündigt, sollte er nun in die Mengenauslieferung kommen und dabei vor allem einem Mitbewerber das Fürchten lehren: der Apple Computers Inc. aus Cupertino (Kalifornien). Einen Werbeetat von 40 Millionen Dollar hatte IBM für ihren Kleinen budgetiert. Viel Geld. Für nichts.
Ohne Bildschirm: der PCjr - Verlierer des Jahres 1984
2.1 Der Osten gegen den Westen
Ein gutes Jahr später war der PCjr (Codename Peanut) weg vom Fenster. Im April 1985 stellte IBM die Produktion dieses dereinst im doppelten Sinn hochgepreisten Einstiegs-Produktes ein. Er war den Konsumenten zu teuer. Mother Blue musste eine bittere Lektion lernen.
Hochmut kommt vor dem Fall.
»Uns gelingt alles«, so hatte Douglas R. LeGrande, hochrangiger Manager bei der Entry Systems Division, noch im Sommer 1983 in internen Veranstaltungen seinen Kollgen Hoffnungen gemacht. Den IBMs Angriff auf den Homecomputer-Markt kam verspätet, aber man war ja auch nicht der erste gewesen, der den PC-Markt gestürmt hatte.[1] Doch dann hatte man alles abgeräumt. Volle Kraft voraus. Mit Hilfe ihrer vollautomatisierten Produktion in Boca Raton, wo ein IBMer nur zehn Minuten brauchte, um einen PC zusammenzuschrauben, wollte der Marktführer das Desktop-Geschäft mit Produkten überfluten.
Doch der an der Ostküste sorgfältig vorbereitete Coup sollte im Homecomputer-Geschäft völlig misslingen. Das hatte vordergründig vor allem ein Mitbewerber verhindert: »Mit einem Apple IIe bekommt man mehr für sein Geld«, meinte im Februar 1984 Eric Golembo, Marketing-Manager beim Händlerunternehmen Prodigy Systems Inc. in New Jersey.[2] Aber das war nicht allein die Erklärung. Der PCjr. war ohne Charme & Charisma - eine reine Kopfgeburt. Von ihm ging keine Faszination aus. Mit ihm ließen sich keine Massen mobilisieren - ein Geschäft, das dafür umso besser Apple beherrschte, die mit einem gnadenlosen Werbefeldzug den Junior zum Mauerblümchen deklassierte.
Das Fiasko hatte sich bereits an diesem Superbowl-Sonntag angebahnt. Denn kaum waren die Werbespots rund um den PCjr. im Äther verschwunden, da eroberte der Wettbewerber von der Westküste die Mattscheibe. Der MacIntosh - mit großen I, wie er damals noch ausgeschrieben wurde - erlebte seine spektakuläre Vorankündigung.
Am 22. Januar 1984 wurde ein Mythos geboren.
2.2 Macs Big Bang und der Heilige Krieg
Es war in der Halbzeit des Superbowls, als plötzlich die Mattscheibe in das monochrome Zeitalter zurückfiel und eine riesige Halle einblendete. Zu Zombies erstarrte Menschen stieren mit leeren Augen auf einen gewaltigen Bildschirm, von dem ein übermächtiger Big Brother herabblickt. Inmitten dieser gespenstischen Szene taucht auf einmal ein junges, athletisches Mädchen in apfelroten Shorts auf, rennt zu dem Bildschirm, wirbelt herum und zerschmettert ihn mit einem Vorschlaghammer. Während das Bild des Big Brothers in einer gewaltigen Explosion in tausend Scherben zerfällt, erwachen die Seelen der grauen Menschen zu neuem Leben.
Dann erscheint ein Text: »Am 24. Januar wird Apple den MacIntosh vorstellen. Und Sie werden sehen, dass 1984 wird nicht so sein wird wie `1984’. Apple Computers.«[3]LINK ZU DEM VIDEO "Big BROTHER"
»Für jeden, der irgendetwas über IBM und Apple wusste, waren die Implikationen unmissverständlich klar. Apple war der kühne Held, der mit unkonventionellen Methoden arbeitete. IBM hingegen stand für die Tyrannei der großen Firmen, die mit ihrem Konformitätszwang jedermann quälte«, kommentierte das Fachblatt Electronics die Werbe-Show.[4] Für Newsweek hatte der nun offen zu Tage tretende Konflikt zwischen den beiden Anbietern bereits den Charakter eines »heiligen Krieges«:[5]
Auf der einen Seite stand der alte Goliath IBM (Umsatz 1983: 40,2 Milliarden Dollar), auf der anderen Seite der David Apple (Umsatz 1983: 982,8 Millionen Dollar). Welch ein Missverhältnis! Big Blue war 40mal größer als der Herausforderer. IBM schien der strahlende Sieger zu sein: Während Apple 1981 noch 41,2 Prozent des amerikanischen Desktop-Marktes beherrschte, war ihr Anteil 1983 auf etwa 24 Prozent gesunken. Wertmäßig - so ermittelte die Gartner Group - waren es am Jahresanfang sogar keine zehn Prozent mehr gewesen.[6] War sie 1981 noch die Nummer 1, so rangierte sie jetzt auf Position 2 - und das, obwohl ihr Umsatz 1983 um 69 Prozent gestiegen war.
Werbung für den Apple II: 1978
Rund 1,4 Millionen Exemplare hatten die Kalifornier laut Dataquest bis Ende 1983 von ihrem Starprodukt Apple II verkauft. Allein im Dezember sollen 90.000 bis 100.000 Exemplare über die Händler-Tische gegangen sein. »Apple sollte sich eigentlich in Rabbit [Kaninchen] umtaufen lassen, denn deren Rechner vermehren sich so schnell«, scherzte Thomas M. Lodahl, damals Chefanalyst für Bürokommunikation bei der Diebold Group.[7] Noch einmal hatte die legendäre Maschine, die 1977 auf den Markt gekommen war, abgeräumt und Apple stolze Bruttomargen von 48 Prozent beschert.[8] Sie konnte dies ungehindert tun, weil der PCjr. – IBMs Gegenofferte – das Weihnachtsgeschäft verpasst hatte. Der Apple II leistete sogar noch mehr: Er kompensierte den Misserfolg, den der Ende 1980 angekündigte Apple III den Kaliforniern beschert hatte. Das Produkt war nicht ausgereift gewesen. So mussten rund 14.000 Maschinen zurück ins Werk gerufen werden. Damals war die Firma gerade mit einem Kurs von 22 Dollar an die Börse gegangen und konnte sich solche Image-Verluste kaum leisten. Nachdem der Kurs auf 10 Dollar gesunken war, rettete der Apple II das Ansehen.
Doch nun, im Januar 1984, war allen klar, dass die Tage des lütten 8-Bitlers aus Kalifornien gezählt waren. Die nächste Runde war eröffnet. Die durfte auf keinen Fall an IBMs PCjr. gehen. Mehr noch: ein Frontalangriff gegen den Meister aller Klassen, gegen IBM, musste inszeniert werden.[9] Einen besseren Zeitpunkt für ihre öffentliche Kriegserklärung hätte Apple gar nicht wählen können. Wir schrieben immerhin das Orwell -Jahr »1984».
Die Menschen waren für das totalitäre Thema sensibilisiert. Die Sympathie gehörte den Kleinen und Schwachen. Eine Medienanalyse ergab, dass sich selbst am Tag nach der einminütigen Aufführung 79 Prozent der Zuschauer an den Werbe-Film erinnern konnten. In den Abendnachrichten war der rund eine Million Dollar teure Streifen sogar wiederholt worden. Diesmal kostenlos. Analysierte die Fachzeitschrift Electronics: »Die Tatsache, dass der Spot nur ein einziges Mal während der Spielübertragung ausgestrahlt wurde, erhöhte nur die Mystik.«[10] Dabei hatte die Werbeagentur Chiat/Day in San Francisco die Orwell-Orgie noch zweimal wiederholen wollen, aber dem vorsichtigen Aufsichtsrat von Apple war eigentlich schon einmal zuviel.
Doch der Sturm-und-Drang-Spot schlug ein wie eine Bombe. Ausgedrückt im Jargon des Apple-Gründers Steven Jobs war der Erfolg schlichtweg »insanely great«. Am Tag nach der Ankündigung verkaufte Apple innerhalb von sechs Stunden Computer im Wert von 3,5 Millionen Dollar. Schon in der Woche zuvor hatten 24 amerikanische Colleges signalisiert, dass sie insgesamt Rechner im Wert von 50 Millionen Dollar platzieren würden.[11] Der Macintosh war noch gar nicht offiziell angekündigt, da war er bereits ein Verkaufsschlager und eine Legende. Er war der »Computer for the rest of us « (Werbeslogan).[12]
Den Grundstock dafür hatte seine ältere Schwester gelegt. Ihr Name: Lisa. Sie hatte als Hochpreisprodukt das vorbereitet, was ihr kleiner Bruder vollenden sollte: absolute Benutzerfreundlichkeit. Das war ihr mit einem Aufwand von 50 Millionen Dollar entwickeltes Alleinstellungsmerkmal, das nun voll auf den erheblich preisgünstigeren kleinen Bruder übertragen wurde.
[1] Wall Street Journal, 22.2.1984, John Marcom Jr. «IBM home computer gets off to slow sales start, but industry analysts refuse to count out PCjr.«
[2] Wall Street Journal, 22.2.1984, John Marcom Jr. »IBM home computer gets off to slow sales start, but industry analysts refuse to count out PCjr.«
[3] Wall Street Journal, 24.1.1984, Erik Larson, Carrie Dolan: » Apple courts the press as it prepares ton unveil Macintosh Model today«
[4] Electronics, 4/1989, ohn McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«
[5] Newsweek, 30.1.1984, Michael Rogers: »It's the Apple of his eye«
[6] Computerwoche, 16.6.1983: »IBM kann bestellte PCs nicht liefern«
[7] Fortune, 3.5.1992, Bro Uttal: »What`s detainung the office of the future«
[8] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glory?«
[9] Business Week, 16.1.1984: »Apple computer's counterattack against IBM«
[10] Electronics, 4/89, ohn McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«
[11] Financial Times, 32.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
[12] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glory?«
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