Samstag, 13. August 2011

Die Geschichte des PCs: DER URSCHREI (Teil3)


IBMs große PC-Pleite: PCjr. alias Peanut - Titelheld 1983: Steve Jobs

Von Raimund Vollmer

2. Kleiner Bruder vs. Big Brother

Boca Raton. Sonntag, 22. Januar 1984. Wie alle Amerikaner hatten es sich auch die 10.000 IBMer der blutjungen Entry Systems Division an ihren Farbfernsehern ge­mütlich gemacht. Der Superbowl stand an diesem Tag auf dem Pro­gramm. Die Los Angeles Riders gegen die Wa­shing­ton Red Skins. Der Westen gegen den Osten.

Blick in einen IBM-Laden in den USA: 1981

Doch American Football interessierte die für das PC-Geschäft engagierten IBMer im Unterschied zu den anderen 38,8 Millionen Haushalte nur am Rande. Sie wussten: Heute würden Werbeminuten des er­sten Quar­ters ihrer kleinsten Schöpfung gewidmet sein: dem PC junior. Am 1. No­vember 1983 als Ho­me­computer für 699 Dollar mit 128 Kilobyte Hauptspeicher ange­kün­digt, sollte er nun in die Mengenauslieferung kommen und dabei vor allem einem Mitbewerber das Fürchten lehren: der Apple Com­pu­ters Inc. aus Cu­­per­tino (Ka­lifornien). Ei­nen Werbeetat von 40 Millionen Dollar hatte IBM für ihren Klei­nen budgetiert. Viel Geld. Für nichts.


Ohne Bildschirm: der PCjr - Verlierer des Jahres 1984

2.1 Der Osten gegen den Westen

Ein gutes Jahr später war der PCjr (Codename Pea­nut) weg vom Fen­ster. Im April 1985 stellte IBM die Pro­duk­tion dieses dereinst im doppelten Sinn hochgepreisten Einstiegs-Pro­duk­tes ein. Er war den Konsumenten zu teuer. Mother Blue musste eine bittere Lektion lernen.

Hochmut kommt vor dem Fall.

»Uns ge­lingt alles«, so hatte Douglas R. LeGrande, hochrangiger Manager bei der En­try Systems Division, noch im Sommer 1983 in internen Veranstal­tun­gen seinen Kollgen Hoffnungen gemacht. Den IBMs Angriff auf den ­Hom­ecomputer-Markt kam verspätet, aber man war ja auch nicht der erste gewesen, der den PC-Markt gestürmt hatte.[1] Doch dann hatte man alles abgeräumt. Volle Kraft voraus. Mit Hilfe ihrer vollauto­ma­ti­sier­ten Produktion in Boca Raton, wo ein IBMer nur zehn Mi­nuten brauchte, um einen PC zusammenzu­schrauben, wollte der Marktführer das Desktop-Geschäft mit Pro­dukten über­flu­ten.

Doch der an der Ostküste sorgfältig vorbereitete Coup sollte im Homecomputer-Geschäft völlig miss­lin­gen. Das hatte vor­dergründig vor allem ein Mitbewerber verhindert: »Mit einem Apple IIe bekommt man mehr für sein Geld«, meinte im Februar 1984 Eric Go­lembo, Mar­keting-Manager beim Händler­un­ter­nehmen Prodigy Sy­stems Inc. in New Jersey.[2] Aber das war nicht allein die Erklärung. Der PCjr. war ohne Charme & Charisma - eine rei­ne Kopfge­burt. Von ihm ging keine Faszination aus. Mit ihm lie­ßen sich keine Massen mobilisieren - ein Geschäft, das dafür um­so bes­ser Apple beherrschte, die mit einem gnadenlosen Wer­be­feldzug den Junior zum Mauerblümchen deklassierte.

Das Fiasko hatte sich bereits an diesem Superbowl-Sonntag ange­bahnt. Denn kaum waren die Werbespots rund um den PCjr. im Äther verschwunden, da eroberte der Wettbewerber von der Westküste die Matt­scheibe. Der MacIntosh - mit großen I, wie er damals noch ausge­schrieben wurde - erlebte seine spektakuläre Vorankündigung.

Am 22. Januar 1984 wurde ein Mythos geboren.

2.2 Macs Big Bang und der Heilige Krieg

Es war in der Halbzeit des Superbowls, als plötz­lich die Matt­schei­be in das monochrome Zeitalter zurück­fiel und eine riesige Halle einblendete. Zu Zom­bies er­starr­te Menschen stieren mit lee­ren Augen auf einen gewaltigen Bild­schirm, von dem ein übermächtiger Big Brother herabblickt. Inmitten dieser gespenstischen Szene taucht auf einmal ein junges, ath­le­tisches Mädchen in apfelroten Shorts auf, rennt zu dem Bildschirm, wirbelt herum und zer­schmettert ihn mit einem Vor­schlaghammer. Während das Bild des Big Brothers in einer gewaltigen Explosion in tausend Scherben zer­fällt, erwachen die Seelen der grauen Menschen zu neuem Leben.

Dann erscheint ein Text: »Am 24. Januar wird Apple den MacIntosh vorstellen. Und Sie werden sehen, dass 1984 wird nicht so sein wird wie `1984’. Apple Computers.«[3]
LINK ZU DEM VIDEO "Big BROTHER"

»Für jeden, der irgendetwas über IBM und Apple wusste, waren die Implikationen unmissverständlich klar. Apple war der kühne Held, der mit unkonventionellen Methoden arbeitete. IBM hingegen stand für die Tyrannei der großen Firmen, die mit ihrem Konformitäts­zwang je­dermann quälte«, kommentierte das Fachblatt Electronics die Werbe-Show.[4] Für Newsweek hatte der nun offen zu Tage tretende Konflikt zwischen den beiden Anbietern bereits den Charakter eines »hei­ligen Krieges«:[5]

Auf der einen Seite stand der alte Go­liath IBM (Umsatz 1983: 40,2 Milliarden Dollar), auf der anderen Seite der David Apple (Umsatz 1983: 982,8 Millionen Dollar). Welch ein Missverhältnis! Big Blue war 40mal größer als der Her­aus­forderer. IBM schien der strahlende Sieger zu sein: Während Apple 1981 noch 41,2 Pro­zent des amerikanischen ­Desktop-Marktes beherrschte, war ihr Anteil 1983 auf etwa 24 Prozent gesunken. Wertmäßig - so ermittelte die Gartner Group - waren es am Jahresanfang sogar keine zehn Prozent mehr gewesen.[6] War sie 1981 noch die Nummer 1, so rangierte sie jetzt auf Po­sition 2 - und das, obwohl ihr Um­satz 1983 um 69 Prozent ge­stie­gen war.

Werbung für den Apple II: 1978

Rund 1,4 Millionen Exemplare hatten die Kalifornier laut Dataquest bis Ende 1983 von ihrem Starprodukt Apple II verkauft. Allein im Dezember sollen 90.000 bis 100.000 Exemplare über die Händler-Ti­sche ge­gangen sein. »Apple sollte sich eigentlich in Rabbit [Kaninchen] umtaufen lassen, denn deren Rechner vermehren sich so schnell«, scherzte Thomas M. Lodahl, damals Chefanalyst für Bürokommuni­ka­tion bei der Diebold Group.[7] Noch einmal hatte die legendäre Maschine, die 1977 auf den Markt ge­kommen war, abgeräumt und Apple stolze Bruttomargen von 48 Pro­zent beschert.[8] Sie konnte dies unge­hin­dert tun, weil der PCjr. – IBMs Gegenofferte – das Weihnachtsgeschäft verpasst hat­te. Der Apple II lei­stete sogar noch mehr: Er kompensierte den Miss­er­folg, den der En­de 1980 an­ge­kündigte Apple III den Kaliforniern beschert hatte. Das Pro­dukt war nicht ausgereift gewesen. So mussten rund 14.000 Maschinen zurück ins Werk gerufen werden. Damals war die Firma gerade mit einem Kurs von 22 Dollar an die Börse gegan­gen und konnte sich solche Image-Verluste kaum leisten. Nach­dem der Kurs auf 10 Dollar gesunken war, ret­tete der Apple II das An­sehen.

Doch nun, im Ja­nuar 1984, war allen klar, dass die Tage des lütten 8-Bit­­­lers aus Kali­fornien gezählt wa­ren. Die nächste Runde war er­öff­net. Die durf­te auf keinen Fall an IBMs PCjr. gehen. Mehr noch: ein Frontal­an­griff gegen den Meister aller Klassen, ge­gen IBM, musste insze­niert werden.[9] Einen besseren Zeit­punkt für ihre öffentliche Kriegserklärung hät­te Apple gar nicht wählen können. Wir schrieben immerhin das Orwell -Jahr »1984».

Die Menschen waren für das totalitäre Thema sensibili­siert. Die Sym­pa­thie gehörte den Kleinen und Schwachen. Eine Me­dienanalyse er­gab, dass sich selbst am Tag nach der einminüti­gen Auf­füh­rung 79 Pro­zent der Zuschauer an den Werbe-Film erinnern konn­ten. In den Abendnachrichten war der rund eine Million Dollar teu­re Streifen sogar wieder­holt worden. Diesmal kostenlos. Analysierte die Fachzeitschrift Elec­tro­nics: »Die Tatsache, dass der Spot nur ein einziges Mal während der Spiel­über­tragung ausge­strahlt wurde, erhöhte nur die Mystik.«[10] Dabei hatte die Wer­be­agentur Chiat/Day in San Fran­cisco die Or­well-Or­gie noch zweimal wiederholen wollen, aber dem vorsichtigen Auf­sichts­rat von Apple war eigent­lich schon ein­mal zuviel.

Doch der Sturm-und-Drang-Spot schlug ein wie eine Bombe. Ausge­drückt im Jargon des Apple-Gründers Steven Jobs war der Erfolg schlichtweg »insanely great«. Am Tag nach der Ankündigung verkaufte Apple in­nerhalb von sechs Stunden Com­pu­ter im Wert von 3,5 Millionen Dollar. Schon in der Woche zuvor hatten 24 amerikanische Col­leges signali­siert, dass sie insgesamt Rechner im Wert von 50 Mil­lionen Dollar pla­tzie­ren wür­den.[11] Der Macintosh war noch gar nicht offi­ziell an­gekündigt, da war er bereits ein Verkaufsschlager und eine Legen­de. Er war der »Computer for the rest of us « (Wer­be­slogan).[12]

Den Grundstock dafür hatte seine ältere Schwester gelegt. Ihr Na­me: Lisa. Sie hatte als Hochpreisprodukt das vorbereitet, was ihr kleiner Bruder voll­en­den sollte: absolute Benutzer­freund­lich­keit. Das war ihr mit einem Aufwand von 50 Millionen Dollar entwickel­tes Alleinstellungsmerkmal, das nun voll auf den erheb­lich preis­günstigeren kleinen Bruder übertragen wurde.

Die Geschichte des PCs TEIL 1 // TEIL 2 // TEIL 3 // TEIL 4 // TEIL 5 // TEIL 6 // TEIL 7 //
Quellen:

[1] Wall Street Journal, 22.2.1984, John Marcom Jr. «IBM home computer gets off to slow sales start, but industry analysts re­fuse to count out PCjr.«

[2] Wall Street Journal, 22.2.1984, John Marcom Jr. »IBM home computer gets off to slow sales start, but industry analysts re­fuse to count out PCjr.«

[3] Wall Street Journal, 24.1.1984, Erik Larson, Carrie Dolan: » Apple courts the press as it prepares ton unveil Macin­tosh Model today«

[4] Electronics, 4/1989, ohn McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«

[5] Newsweek, 30.1.1984, Michael Rogers: »It's the Apple of his eye«

[6] Computerwoche, 16.6.1983: »IBM kann bestellte PCs nicht liefern«

[7] Fortune, 3.5.1992, Bro Uttal: »What`s detainung the office of the future«

[8] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glo­ry?«

[9] Business Week, 16.1.1984: »Apple computer's coun­ter­attack against IBM«

[10] Electronics, 4/89, ohn McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«

[11] Financial Times, 32.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«

[12] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glo­ry?«

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