Samstag, 19. Mai 2012

Teil VIII: Das Projekt Taurus - Im Börsengewitter

Der Crash Test
Die gesamte Schnellebigkeit des Marktes wurde den Briten im Oktober 1987 vorgeführt: der Börsenkrach. Ertobte über die Börsenplätze der Welt hinweg und überforderte vor allem die IT_Systeme. So auch in London. Unter seinem Ansturm brach Talisman regelrecht zusammen. Sechs Monate sollte es dauern, bis alle Geschäfte in der Folge des Big Crash abgewickelt worden waren. Das hatte zum Teil verheerende Konsequenzen für die Händler.
Der Stockbroker Hoare Govett (im Februar 2012 von der Royal Bank of Scotland übernommen) musste sich zum Beispiel etliche Millionen Pfund von Dritten leihen, um den Verkauf von Aktien zwischenzufinanzieren, für die er erst das Geld bekommen würde, wenn die Abrechnung vollendet war. Denn genau das war das Prinzip, nach dem das System arbeitete: Bezahlung erst mit dem physischem Erhalt der Aktien. Und vor allem die Banken, die nach dem Big Bang das Börsengeschäft mehr und mehr bestimmten, konnten und wollten mit solchen Zeiträumen nicht arbeiten. Diese Institute reagierten gegenüber Zahlungsverpflichtungen erheblich empfindlicher als die anderen Mitspieler, die Brokerhäuser.
Das war die Zeit, in der Taurus hochaktuell wurde. Es galt fortan als geschäftskritisch. Die Banken machten Druck. Und ihr Wort zählte in der City. Denn sie hatten nach dem Big Bang neue Käuferschichten an den Kapitalmarkt gelockt. Die Zahl der Privatanleger stieg von zwei auf zehn Millionen. Allein 1986 waren die Umsätze der Börse um 72 Prozent auf 181 Milliarden Pfund nach oben geschnellt. Schon zuvor hatte sich im Gefolge des Big Bang das in London gehandelte Volumen von jährlich 25 Milliarden in 1981 auf 80 Milliarden Aktien in 1985 mehr als verdreifacht hatte. Und der Börsenkrach brachte dann den Zusammenbruch von Talisman.
Mit dieser Expansion war eine Schwachstelle deutlich spürbar geworden, die nicht nur die Börse betraf, sondern auch deren Mitgliedsfirmen. Diese Schwachstelle hieß IT. So schrieb das Wirtschaftsmagazin The Economist: »Es gibt kaum eine Firma in der City, die nicht größere Probleme mit ihrer Informationstechnologie hat.«
In diesem Zusammenhang rückte auch die Idee der zentralen Börsendatenbank für die Abwicklung wieder in den Mittelpunkt. Prompt intervenierten die Registrare. Aber auch die Geldinstitute hatten ein zwiespältiges Verhältnis zu diesem Ansinnen. Denn dahinter stand als Vision die totale Transparenz.
Data Bank of England. Vor diesem Hintergrund schaltete sich 1988 die Bank of England ein. Sie war das Hickhack um das wahre Konzept satt. Schon einmal hatte sie 1985 ein verkorkstes Abrechnungssystem, das von der LSE seit Anfang der achtziger Jahre für ein Spezialsegment (Central Gilts Office) entwickelt worden war, unter ihre Fittiche genommen. Unter dem Namen SISCOT (Securities Industry Steering Committee) wurde schließlich auf Drängen ihres Direktors, Pen Kent, im Oktober 1989 ein Gremium gebildet, das nun die Projektauswahl treffen sollte. Und prompt geschah das, was den Tod jedes Projektes bedeutet: die Auseinandersetzung eroberte und blockierte den Konferenzraum. Fraktionen bildeten sich. Jede Partei brachte ihre eigene Vorstellung ein. Der Streit war nun vollends entbrannt. Bei der Suche nach einem Kompromiß entstand ein Papiertiger: ein höchst komplexes System ohne Struktur und ohne Ausrichtung.
In dem »Blutbad« (Wall Street Journal), das der Börsenkrach bei den Investmenthäusern erzeugt hatte, spürten die Börsianer
- einerseits die Notwendigkeit für eine Erneuerung des umständlichen Abrechnungsverfahrens,
- andererseits scheuten sie die Ausgaben, die eine Modernisierung erforderte.
Reengineering ist teuer vor allem, wenn es mehr ist als nur das Flicken eines alten Systems, sondern eine Erneuerung der Geschäftsprozesse verlangt. Es wird besonders aufwendig, wenn Geschäftsprozesse zwischen 400 Institutionen abgestimmt werden müssen. Zudem hatte der Chairman des London Stock Exchange, Andrew Hugh Smith, bereits einen neuen Traum: für die 200 bis 300 wichtigsten und am stärksten an den Börsen gehandelten Firmen in Europa wollte er einen gemeinsamen Wertpapiermarkt errichten. Natürlich dachte er dabei an den Einigungsplatz London, aber in der Welt der ubiquitären Computersysteme wäre es eher ein virtueller Platz zwischen vielen Börsen gewesen. Doch ohne ein supermodernes Abrechnungssystem würde er die anderen Börsenplätze kaum für ein solches Unterfangen mit Standort London gewinnen können.
Deshalb drang die Börse darauf, dass die gesamte Londoner Szene ihre Investitionen in die Datenverarbeitung erhöhte. Etliche Brokerhäuser waren auch dazu bereit, obwohl der Börsenkrach sie arg gebeutelt hatte. Viele machten ihre Hausaufgaben und rationalisierten ihre eigenen Back Offices. Mit Erfolg und unabhängig von Taurus: »Eine Firma wie unsere hat seit 1987 die Abrechnungskosten halbiert«, berichtete Stephen Cook vom Stockbroker Gerrard Vivian. Aber so sehr manches Börsenmitglied bereit war, in seinem Stall aufzuräumen, für Taurus wollten viele nur unwillig Geld ausgeben.
So stoppte Ende März 1989 der London Stock Exchange auf dringendes Anraten eines Beirates die Weiterentwicklung von Taurus in seiner bereits 1981 anvisierten Form. Nicht nur die Registrare waren plötzlich gegen die zentrale Datenbank, auf die alle Teilnehmer zugreifen konnten, sondern auch so manche Bank. Die Kosten des Projektes von 60 Millionen Pfund seien zu gewaltig: »Man möchte die kostengünstigste Lösung, denn die Aufgabe des Projektes ist es doch, Kosten zu senken«, erklärte im April 1989 Patrick Mitford Slade, Partner beim Stockbroker Caezenove & Co., der zudem Vorsitzender eines der Beiräte war, das die Weiterverfolgung des ursprünglichen Taurus Projektes ablehnte. Und damit wurde einer der schlimmsten Irrtümer sichtbar, die heute das Geschäft mit Software & Service belasten: Was Kosten spart, darf selbst nicht viel kosten.
Fünf Jahre später, 1994, stand die LSE vor der Erkenntnis, dass nichts so teuer sein kann wie Kostensparen vor allem, wenn man sich nicht über das Wie einig ist.
Fünfte Lektion von der Geschicht': Weil Superprojekte mehr und mehr Gemeinschaftsaufgaben werden, dürfen sie nichts kosten. Da Superprojekte aber immer hohe Investitionen verlangen, gibt es keine mehr es sei denn, man wagt tatsächlich den Bruch mit der Vergangenheit. Sie ist und bleibt der größte Gegner von Superprojekten. Das Problem: die DV selbst ist längst ebenfalls ein Stück dieser Vergangenheit. Mit ihr muss sie zuallererst brechen!
ENDE

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