Greenwich (Connecticut). Donnerstag, 28. Dezember 1961. Im Sheraton New Englander Motel trafen sich 13 IBMer zum Abschluß‑Communiqué. 60 Tage lang hatten sie an dem Papier gearbeitet. Wen immer sie für ihre Arbeit brauchten, er stand ihnen mit all seinem Wissen zur Verfügung. Ihr Anführer war Don Spaulding, der Chief Assistant des allmächtigen Vincent T. Learson, seit 1959 als Vice President Herrscher über die wichtigsten Produktlinien der IBM. Nun waren die Ergebnisse dieser kollektiven Arbeit niedergeschrieben: 80 Seiten umfaßte das Dokument. Das ganze Knowhow der Company, ihr intellektuelles Kapital, war darin zusammengefaßt und in eine neue Perspektive gesetzt worden. Spaulding und seine zwölf Jünger hielten ein grandioses Konzept in der Hand. Der Name des Masterplans lautete kurz & bündig: SPREAD.
Das stand offiziell für Systems Programming Research and Development. Inoffiziell aber wurden die sechs Buchstaben als Spaulding's Plan to Reorganize Each and All Divisions entschlüsselt.[1] Das war es auch: nachdem IBM in den fünfziger Jahren unter großen Mühen den Sprung ins Elektronikzeitalter geschafft, sich 1959 erstmals eine wirkliche Organisation gegeben hatte, war sie endlich soweit, das gewaltigste und riskanteste Projekt in ihrer Geschichte anzugehen, bei dem sie ihre gesamten Ressourcen neu ausrichtete. Sie wollte eine Computerserie entwickeln, die weltweit nach denselben Prinzipien gebaut und verkauft werden sollte, eine in sich kompatible Rechnerfamilie, die alles ablösen sollte, was jetzt bei den Kunden installiert war. Der große Wurf sollte gewagt werden.
Dieser SPREAD‑Ausschuß beendete einen Streit, der seit Anfang 1960 in der Company tobte, immer neue Fraktionen hochgespült hatte ‑ innerhalb und zwischen den einzelnen Divisions. Es ging um Technologien & Produktabgrenzungen, um Prestige & Karrieren, um Markt & Moneten. Dahinter verbarg sich sogar ein regelrechter Bruderkrieg. Thomas Watson Jun. mußte sich als Chief Executive der IBM Corp. gegen Arthur K. Watson durchsetzen, der die IBM World Trade wie ein eigenes Königreich leitete. Zweimal schon hatte Bruder Arthur vergeblich versucht, einen eigenen Computer für sein Imperium zu entwickeln. Justament hatte er einen dritten Versuch gestartet. Das Ziel hinter SPREAD war indes: keine Sonderwege mehr. Stattdessen galt die globale Formel: »Alle für einen. Einer für alle.« Konzeptionell war die Sache entschieden. Aber würde sich der Geniestreich realisieren lassen? Den Beteiligten steckte noch das Stretch‑Fiasko in den Knochen. Das war ein Supercomputer gewesen, mit dessen Entwicklung IBM 1955 begonnen hatte. Weder technisch noch wirtschaftlich erfüllte er die Erwartungen. Deshalb hatte Thomas J. Watson wenige Monate zuvor, im Mai 1961, den Preis von 13,5 auf acht Millionen Dollar kürzen müssen. Es war seine erste Amtshandlung als Chairman, zu dem ihn justament der Aufsichtsrat gewählt hatte. Insgesamt hatte das Unternehmen 20 Millionen Dollar bei dem Projekt verloren. Watson hatte seine Leute nachdrücklich gewarnt: »Wir müssen künftig bei unseren Versprechungen erheblich sorgfältiger sein.«[2] Das bedeutete: vor allem die Planungen mussten besser werden. Diesmal durfte es keine Panne geben. Das war der Schwur von Greenwich.
New York. Donnerstag, 4. Januar 1962. Eine Woche nach dem Treffen in Greenwich präsentierte das Team vor 50 Top Executives im damaligen Hauptquartier der IBM in New York seinen grandiosen Plan. Die Resonanz war verhalten. Aber es gab auch keine wichtigen Gegenargumente. Nur eins bereitete den Managern sichtlich Sorgen: die Ausgaben für die Software. Den Aufwand für ein »SPREADsheet« hatte das Spaulding‑Team vorsichtig mit 125 Millionen Dollar beziffert. Das lag deutlich über jenen zehn Millionen Dollar, die IBM sonst jährlich in Programme für alle Produktfamilien steckte. Die hohen Herren wiegten noch voller Bedenken mit ihren Köpfen. Hätten sie die volle Wahrheit gewusst, dann wäre das Projekt erst gar nicht gestarter worden: eine halbe Millarde Dollar sollte nämlich der tatsächliche Preis der Supersoftware werden. Manchem steckte noch die Transformation aus den fünfziger Jahren in den Knochen.
Aber wozu ist eine großartige Organisation da, wenn sie sich nicht auch an großartige Dinge heranwagt? Da ergriff schließlich Learson das Wort und erklärte kurz & knapp: »Okay, wir machen es!« Thomas Watson sah in die Runde. Ein Entscheidungsträger nach dem anderen willigte ein, obwohl jeder erkannte, dass von nun an »alle unsere Ressourcen nur in einem einzigen Projekt steckten ‑ und wir wussten, dass wir für eine ziemlich lange Zeit aus unseren Investitionen nichts herausbekamen.«
Das stand offiziell für Systems Programming Research and Development. Inoffiziell aber wurden die sechs Buchstaben als Spaulding's Plan to Reorganize Each and All Divisions entschlüsselt.[1] Das war es auch: nachdem IBM in den fünfziger Jahren unter großen Mühen den Sprung ins Elektronikzeitalter geschafft, sich 1959 erstmals eine wirkliche Organisation gegeben hatte, war sie endlich soweit, das gewaltigste und riskanteste Projekt in ihrer Geschichte anzugehen, bei dem sie ihre gesamten Ressourcen neu ausrichtete. Sie wollte eine Computerserie entwickeln, die weltweit nach denselben Prinzipien gebaut und verkauft werden sollte, eine in sich kompatible Rechnerfamilie, die alles ablösen sollte, was jetzt bei den Kunden installiert war. Der große Wurf sollte gewagt werden.
Dieser SPREAD‑Ausschuß beendete einen Streit, der seit Anfang 1960 in der Company tobte, immer neue Fraktionen hochgespült hatte ‑ innerhalb und zwischen den einzelnen Divisions. Es ging um Technologien & Produktabgrenzungen, um Prestige & Karrieren, um Markt & Moneten. Dahinter verbarg sich sogar ein regelrechter Bruderkrieg. Thomas Watson Jun. mußte sich als Chief Executive der IBM Corp. gegen Arthur K. Watson durchsetzen, der die IBM World Trade wie ein eigenes Königreich leitete. Zweimal schon hatte Bruder Arthur vergeblich versucht, einen eigenen Computer für sein Imperium zu entwickeln. Justament hatte er einen dritten Versuch gestartet. Das Ziel hinter SPREAD war indes: keine Sonderwege mehr. Stattdessen galt die globale Formel: »Alle für einen. Einer für alle.« Konzeptionell war die Sache entschieden. Aber würde sich der Geniestreich realisieren lassen? Den Beteiligten steckte noch das Stretch‑Fiasko in den Knochen. Das war ein Supercomputer gewesen, mit dessen Entwicklung IBM 1955 begonnen hatte. Weder technisch noch wirtschaftlich erfüllte er die Erwartungen. Deshalb hatte Thomas J. Watson wenige Monate zuvor, im Mai 1961, den Preis von 13,5 auf acht Millionen Dollar kürzen müssen. Es war seine erste Amtshandlung als Chairman, zu dem ihn justament der Aufsichtsrat gewählt hatte. Insgesamt hatte das Unternehmen 20 Millionen Dollar bei dem Projekt verloren. Watson hatte seine Leute nachdrücklich gewarnt: »Wir müssen künftig bei unseren Versprechungen erheblich sorgfältiger sein.«[2] Das bedeutete: vor allem die Planungen mussten besser werden. Diesmal durfte es keine Panne geben. Das war der Schwur von Greenwich.
New York. Donnerstag, 4. Januar 1962. Eine Woche nach dem Treffen in Greenwich präsentierte das Team vor 50 Top Executives im damaligen Hauptquartier der IBM in New York seinen grandiosen Plan. Die Resonanz war verhalten. Aber es gab auch keine wichtigen Gegenargumente. Nur eins bereitete den Managern sichtlich Sorgen: die Ausgaben für die Software. Den Aufwand für ein »SPREADsheet« hatte das Spaulding‑Team vorsichtig mit 125 Millionen Dollar beziffert. Das lag deutlich über jenen zehn Millionen Dollar, die IBM sonst jährlich in Programme für alle Produktfamilien steckte. Die hohen Herren wiegten noch voller Bedenken mit ihren Köpfen. Hätten sie die volle Wahrheit gewusst, dann wäre das Projekt erst gar nicht gestarter worden: eine halbe Millarde Dollar sollte nämlich der tatsächliche Preis der Supersoftware werden. Manchem steckte noch die Transformation aus den fünfziger Jahren in den Knochen.
Aber wozu ist eine großartige Organisation da, wenn sie sich nicht auch an großartige Dinge heranwagt? Da ergriff schließlich Learson das Wort und erklärte kurz & knapp: »Okay, wir machen es!« Thomas Watson sah in die Runde. Ein Entscheidungsträger nach dem anderen willigte ein, obwohl jeder erkannte, dass von nun an »alle unsere Ressourcen nur in einem einzigen Projekt steckten ‑ und wir wussten, dass wir für eine ziemlich lange Zeit aus unseren Investitionen nichts herausbekamen.«
Frankfurt. Freitag, 4. April 1964. Die Botschaft erreichte den jungen IBMer erst nach Büroschluß. Als Peter L., 27 Jahre alt, an diesem Abend daheim seine Post sichtete, tat sich ihm zwischen Bankauszügen und Reklamepost eine Windrose auf. Der ansonsten als clever & smart eingeschätzte Vertriebsbeauftragte aus der Niederlassung Frankfurt der IBM Deutschland GmbH war perplex: die Postkarte enthielt außer seiner Adresse und dem roten Symbol keine weitere Message. Der IBM‑Nachwuchsmann verdrängte nach einigen Grübeleien diese scheinbar unsinnige Nachricht. Das Wochenende hatte begonnen...
Frankfurt. Montag, 7. April 1964. Ein wenig verwundert wanderte an diesem Frühlingsmorgen Peter L. durch die Blumenallee des Frankfurter Palmengartens. Zwischen den geraden erblühten Osterglocken und Tulpen des Frühlings 1964 ragten rund 1000 strahlendweiße Papierwimpel empor, alle ebenfalls mit dem mysteriösen Zeichen, mit dieser geheimnisvollen Windrose, bedruckt.
Das Zeichen war Signal. An diesem Aprilmorgen sollte sich die Computerwelt gründlich verändern. Doch davon ahnten Peter L. und seine zweihundert in feierlichem Dunkelblau versammelten Kollegen zunächst noch nichts. Nur eins war ihnen klar: den Tuscheleien und Flüsterparolen der vergangenen Monate sollte durch die Ankündigung eines neuen Computersystems ein Ende gesetzt werden. Was kam, war eine neue Rechnergeneration. IBM verkündete der völlig überraschten Computerwelt das System /360. Das Datum war gut gewählt. Die Firma feierte gerade ihren 50. Geburtstag. Seit einem halben Jahrhundert regierten Watson & Son. Ein Weltimperium mit einem Umsatz von 3,239 Milliarden Dollar war entstanden. An diesem Tag sollte sich aber vor allem die Zukunft der nächsten Jahrzehnte entscheiden.
Es war das Jahr der Entscheidung, in dem Bob Dylan sein Lied »The times they are a changing« schrieb, die Beatles mit »A hard days night« ihr Filmdebut gaben und erstmals auf Welttournee gingen. Doch vor allem sollten sich die Zeiten im Computergeschäft ändern, sollten zwei lange Jahre harte Arbeit mit einer Welturaufführung belohnt werden.
Von dem, was kam, war Peter L. schlichtweg fasziniert. Für ihn klärten sich die letzten undeutbaren Inhalte der Windrose auf ‑ stilgerecht abgetönt durch das etwas geschrumpfte Orchester des Hessischen Rundfunks: hinter der heute bis zur Unverständlichkeit verkürzten Bezeichnung Schrägstrich 360 verbarg sich der allumfassende Anspruch der IBM, über alle 360 Längengrade hinweg, mit einer neuen Systemgeneration Tausende von DV‑Benutzern glücklich zu machen. Das »aufwindige« Announcement, das gleichzeitig auf allen IBM‑Basen rund um den Erdball abrollte, enthüllte die neue Philosophie, die von nun an das weltweite Wechselspiel zwischen Markt und Technologie bestimmen sollte. Zwar war zunächst mehr Wind als Rose. Doch mit dem Wirbel um die neue Serie konnte die IBM vorerst all die Schwierigkeiten hinwegblasen, die durch die Schöpfung der dritten Generation dem Computer‑Giganten erwuchsen und seinen Kreislauf wiederholt angriffen. So wurde von der Geburt der Idee im Jahre 1961 bis hin zur Ankündigung der Systemfamilie die Struktur des Weltkonzerns allein dreimal umgekrempelt.
Doch die größte Veränderung lag darin, daß mit dem Aufsetzen des SPREAD‑Plans bei IBM endlich die Technologen das Zepter in die Hand genommen hatten. So schrieb 1966 das amerikanische Wirtschaftsmagazin Fortune: »Zum ersten Mal trat eine neue Gruppe von technisch orientierten Managern in den Vordergrund und zerstörten einiges von jener traditionellen Macht, die die Marketiers in der Firma hielten.«[3] In der Folge sollten die sechziger Jahre die aufregendste und innovativste Dekade des Computings werden. Die junge Branche setzte zum Sprung ins 21. Jahrhundert an. Während einige Forscher bereits die Ankunft des Personal Computers prophezeiten, sollten die nächsten zwei Jahrzehnte jedoch vor allem einer Species gehören: den Mainframes, deren erster Erfolgstyp die /360 war.
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[1] Datamation, 15.5.84, Robert L. Patrick: »The seed of empire«
[2] Fortune, 9/66, T. Wise: »I.B.M.'s $5.000.000.000 Gamble«
[3] Fortune, 9/66, T. Wise: »I.B.M.'s $5.000.000.000 Gamble«
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