Größer als das Manhattan-Project
Um die Größe und Grandiosität dieser Ankündigung zu verstehen, muß man die Hintergründe durchleuchten, die zu diesem spektakulären Ereignis führten. Warum zum Beispiel hatten sich damals, im Januar 1961, bei der Sitzung des Topmanagements, die Technologen durchsetzen können? Wieso hatte das Topmanagement seine Zustimmung zu einem Projekt erteilt, bei dem die Firma ihre gesamte Existenz aufs Spiel setzte? Antwort: IBM befand sich in einem technologischen Rückstand. Ihre Produktlinien waren zur Jahreswende 1961/62 ausgereizt und ihre Patente nichts mehr wert.
Die Firma hatte sich in den fünfziger Jahren daran gewöhnt, mit Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent zu leben. Sie hatte 1957 erstmals eine Milliarde Dollar umgesetzt. Doch seit 1958 hatte sich das Wachstum verlangsamt. So waren die Umsätze 1958 nur um 17,1 Prozent und in 1959 um magere 11,8 Prozent geklettert. 1960 war das Wachstum sogar knapp unter die Schwelle von zehn Prozent gerutscht. Der einzige Lichtblick: 1961 legte die Firma wieder ein Plus von 18 Prozent zu.[1] Aber war das genug für eine Firma, die zuvor alle vier Jahre ihre Umsätze verdoppelt hatte? Wohl kaum. Sie spürte, daß ihre bislang sorgsam gehüteten Marktanteile bedroht waren.
Neue Wettbewerber wie die Control Data Corp., Radio Corporation of America oder Honeywell traten auf, während sich die alten Kontrahenten durch Aufkäufe vergrößerten. Mehr noch: die Konkurrenz begann, das Geschäft mit kompatiblen Rechnern zu entdecken, um so der IBM die Kunden abspenstig zu machen. Wut staute sich auf, aber auch Mut. Und beides hatte seinen Ursprung in der Vergangenheit.
Trommeln der Macht. 1953 hatte IBM mit dem Magnetic Drum Calculator Type 650 einen speicherprogrammierten Röhren‑Rechner vorgestellt, der etwa soviel Computerpower besaß wie ein Videorekorder. Es war die erste Maschine, die eine Magnettrommel als Hauptspeicher benutzte ‑ und sie gehörte damit in jener Zeit zur absoluten Avantgarde. Diesen Vorsprung ließ sich IBM gut bezahlen. Die Monatsmiete betrug 3250 Dollar, was nach heutigem Geld etwa der Summe von 18.000 Dollar entspricht. Die Marketiers hatten ausgerechnet, dass die Firma mit einem kleinen Gewinn herauskommen würde, wenn es ihr gelang, wenigstens 50 Magnettrommeln zu vermieten. Ein Vermögen würde indes die Gesellschaft erwirtschaften, wenn sie gar 250 Maschinen an den Mann zu brächte. Doch es kam viel besser: »Als die Maschine 1962 vom Markt zurückgezogen wurde, waren mehrere Tausend dieser Rechner verkauft worden. So wurde diese primitive Maschine der erste massenproduzierte Rechner der Welt«, erinnerte 1994 das Wirtschaftsmagazin The Economist an diese Novität.
Es lohnte sich also, Mut zu haben. Wütend waren Watson und sein Gefolge geworden, als Ende der fünfziger Jahre der Erzrivale Univac mit seinem Transistorrechner Univac 80 genau gegen diesen Magnettrommelrechner zu Felde zog und kräftig abstaubte.
Schon zu Hollerith‑Zeiten hatte die Firma erleben müssen, daß immer dann, wenn sich ein Technologiewechsel abzeichnete, die Wettbewerber ihre Riesenchance sahen. In einer solchen Lage war IBM jetzt wieder. Sie musste sich durch einen Befreiungsschlag aus diesem Dilemma befreien ‑ und sich diesmal an die Spitze der Revolution stellen. Seine Erfahrungen aus den fünfziger Jahren hatten Watson Mut gemacht, ein solches Unterfangen nun im ganz großen Stil zu wagen.
Die einzige Chance, die Brut der Wettbewerber hinter sich zu lassen, bestand darin, viel Geld anzufassen, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit zu wagen und sich durch eine Vielzahl von Innovationen mit deutlichem Vorsprung vom Wettbewerb abzusetzen ‑ und zwar auf weltweiter Basis. Auf all das hatte der 50jährige Vice President T. Vincent (Vin) Learson seinen Chef nachdrücklich aufmerksam gemacht. Nur eine »New Product Line (NPL)« könne IBM aus dem Dilemma befreien. Watson spürte selbst »den Druck des Marktes«. Er ahnte, dass er alles auf eine Karte setzen musste. Die Lage war brenzlig. Aber er war Vaters Sohn, und er wollte der Welt zeigen, dass er ebenfalls ein guter Unternehmer war.[2]
Manhattan‑Project. So startete IBM zur Jahreswende 1961/62 in ihr aufregendstes Abenteuer, das von der Öffentlichkeit alsbald in Superlativen gefeiert wurde. »Es war die größte industrielle Investition, die jemals in der Industriegeschichte von einem Privatunternehmen aufgebracht wurde. IBM wandte für die Zeugung dieser einen Serie fünf Milliarden Dollar auf. Das entsprach 1966 den gesamten Einnahmen aller Computerhersteller der Welt«, staunte 1970 der Spiegel‑Journalist Kurt Blauhorn in seinem Buch »Erdteil zweiter Klasse ‑ Europas technologische Lücke«.[3] In der Tat ‑ rund 4,5 Milliarden Dollar Kapitalinvestitionen für Fabriken, Ausrüstung und Mietmaschinen hatte IBM im Umfeld der /360‑Ankündigung aufgebracht. Hinzu kamen weitere 750 Millionen Dollar für die technische Entwicklung. Zum Vergleich: Für ENIAC, für den ersten praxiserprobten Röhrenrechner der USA, waren bis zu seiner Inbetriebnahme 1946 Entwicklungsgelder von insgesamt 600.000 Dollar geflossen.[4] Noch ein Vergleich: als 1965 die Firma Boeing Company mit der Entwicklung des Jumbos begann, sollte sie für die dann 1969 vorgestellte Boeing 747 rund eine Milliarde Dollar investieren. Der französische Starpublizist Jean‑Jacques Servan‑Schreiber staunte 1967 in seinem Bestseller »Die amerikanische Herausforderung« über IBMs Aufwand, den er in jenen Kategorien sah, in die eigentlich nur noch der moderne Staat dachte: »Das entspricht der jährlichen Gesamtinvestition der Vereinigten Staaten, die Regierungsgelder einbegriffen, für Raumforschung.« Zum Vergleich: Das Manhattan‑Project, das nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 der damalige US‑Präsident Franklin Roosevelt als geheime Operation gestartet hatte und im August 1945 zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima führte, hatte 2,5 Milliarden Dollar gekostet und die USA zur ersten Nuklearmacht emporsteigen lassen. 150.000 Menschen hatten auf dem Höhepunkt der Arbeiten am Manhattan‑Project mitgewirkt, das in Los Alamos sein Zentrum hatte.
Brain drain. »Nahezu jeder, der in der amerikanischen Physik Rang und Namen hatte, war damals in diesem Labor beschäftigt«, erinnerte 1994 die Frankfurter Allgemeine Zeitung an das gigantische Unterfangen, bei dem der Staat die technische Intelligenz aus aller Welt in seinen Forschungszentren versammelte.[5] IBM, die schon in den dreißiger Jahren in mehr als 70 Ländern der Erde präsent war, konnte auf eine Ingenieurs‑Elite zurückgreifen, wie sie vielleicht nicht einmal den mächtigsten Nationen zur Verfügung stand. Ihre Techno‑Offensive erreichte mit der Vorbereitung und Vermarktung der /360 einen solchen Druck, daß ihr Mitbewerber vorwarfen, Ingenieurs‑Intelligenz zu monopolisieren. Servan‑Schreiber behauptet, das »IBM ihren Konkurrenten die besten Spezialisten zu wahren Goldpreisen« abgekauft habe. Ein bitterer Vorwurf. Denn die gesamte Konkurrenz buhlte weltweit um diese Intelligenz‑Ressource, die unglaublich viel zum Wohlstand und zur technologischen Überlegenheit der USA beigetragen hatte. Der brain drain Richtung Neue Welt erreichte damals seinen Höhepunkt.
Hatte der Krieg beim Manhattan Project Physiker und Mathematiker vornehmlich aus Ungarn, Österreich und Deutschland in die USA vertrieben, so war es jetzt die Macht der Dollars, die das human capital nach Nordamerika lockte. Das Wirtschaftsmagazin Business Week stellte im September 1967 fest, dass allein zwischen 1956 und 1966 insgesamt 9875 Wissenschaftler & Techniker aus dem Ausland in die USA gekommen waren, ein starkes Drittel davon aus Europa. Kurzum: das kurze 20. Jahrhundert fand in den USA statt. Und IBM wollte das stolze Vorzeige‑Unternehmen dieser Ära werden.
Fürchterliches Desaster. Mit unglaublichem Mut ging sie an ihr /360‑Werk. Die Investitionen waren so hoch, dass IBM ‑ würde das Experiment misslingen ‑ wohl dem Niedergang geweiht gewesen wäre. Es war das »$5.000.000.000 Gamble«, wie Fortune im September 1966 titelte. Es war die »riskanteste Geschäftsentscheidung«, die bis dahin ein Unternehmen gefällt hatte. Nicht etwa wegen der hohen Zahlungsverpflichtungen, die zwischen 1961 und 1967 von 150 Millionen Dollar auf satte 1,16 Milliarden Dollar hochschnellten, sondern weil sie praktisch ohne Fall‑Back‑Lösung in das Abenteuer gestartet war. Mehr noch: als sie im April 1964 die Rechnerserie voreilig ankündigte, war noch gar nicht sicher, ob diese überhaupt jemals ausgeliefert werden konnte.
Seine Begründung: Kein Staat der Erde würde auf Dauer akzeptieren, daß ein multinationales Unternehmen in der Größenordnung der IBM jährlich um zehn bis 20 Prozent wächst, während die Volkswirtschaften der großen Industrienationen sich mit einer Rate von zwei Prozent begnügen müßten. Zu diesem Zeitpunkt erreichte IBMs Weltumsatz umgerechnet zehn Prozent des Bruttosozialproduktes des Vereinigten Königreichs.
In Frankreich machten sich ein Jahr später, 1979, die beiden Spitzenbeamten Simon Nora und Alain Minc auf, in ihrer Bestseller‑Studie »Die Informatisierung der Gesellschaft« die Europäer zum Gegenangriff aufzurufen. »Die Politik muss vor allem die neuartige Herausforderung durch IBM berücksichtigen: Gestern noch Rechnerhersteller, morgen Betreiber von Nachrichtennetzen verfolgt dieses Unternehmen eine Strategie, die es in die Lage versetzt, ein Nachrichtennetz zu errichten und zu kontrollieren. Es greift damit in eine Sphäre ein, die traditionell eine Staatsdomäne ist.«
Deshalb rieten die beiden Autoren dazu, eine internationale »Allianz der Fernmeldegesellschaften« gegen IBM aufzubauen. Kurzum: im Ansehen der Politik war Big Blue so stark, dass sie die Souveränität und Legitimation der Nationalstaaten gefährdet sahen.
Vision impossible. Doch ihre Sorge war unbegründet. Denn zu diesem Zeitpunkt stand längst kein Watson mehr an der Spitze des Unternehmens. Nach einem Herzanfall war der Junior 1971 abgetreten. Die Watson‑Ära war zu Ende. Von den Nachfolgern war niemand bereit, noch einmal wegen einer technologischen Herausforderung die gesamte Company aufs Spiel zu setzen.
Dabei hatte IBMs Wissenselite in den Labors längst ein Modell entwickelt, das weitgehend dem entsprach, was heute Network Centric Computing heißt. Ziel war es, das papierlose Büro zu schaffen, von dem die Technologen der Company spätestens seit 1964 träumten. Die vernetzte Welt war eine ebenso naheliegende, wie gigantische Vision. Zum einen mußte man nur auf Zeichnungen der Telefonnetze schauen, um zu erkennen, daß sie im Großen jene Strukturen abbildeten, die im Kleinen durchaus denen der Computer ähnelten. Die Schaltbilder der Chips und die der Telekomnetze, mit deren Elektronisierung justament begonnen wurde, unterschieden sich optisch lediglich in den Dimensionen. Man brauchte nur eine schnelle Verbindung zwischen den Rechnern, um sie genau so einzuweben wie das Telefon ins Fernmeldenetz. Die Telekomgesellschaften verhinderten jedoch mit ihren hohen Preisen für Datenübertragung den Aufbau eines solchen Network‑Computings. IBM mußte deshalb in das Telekommunikationsgeschäft eindringen, was sie auch ‑ zumindest in den USA ‑ Mitte der siebziger Jahre mit dem Aufbau der Satellite Business Systems tat. Aber es war nur ein halbherziger Versuch.
Um ihre Idee zum Durchbruch zu bringen, hätte sie es ‑ wie bei der /360 ‑ in einem weltweiten Maßstab wagen müssen und dabei nicht nur die Datenkommunikation, sondern auch den Sprachverkehr anvisieren müssen. Doch sie traute sich nicht, die Fernmeldegesellschaften mit ihren staatlich garantierten Monopolrechten herauszufordern. Die Telekoms gehörten außerdem zu ihren größten Kunden. Einen derartigen Angriff durch die mächtigste Computerfirma der Welt auf ihre wichtigsten Geldquellen hätten die Regierungen nie zugelassen. So musste sich das Network Computing auf eine andere, klammheimliche und höchst anonyme Weise durchsetzen ‑ durch das Internet. Es legte eine ganz andere Spur. Es tat das, wogegen letztlich jeder Staat machtlos ist: es plante sich plötzlich selbst. Anarchisch, chaotisch, spontan.
Diese Methode war sowohl der IBM als auch ihren staatlichen Widersachern fremd, obwohl 1961 der Klimaforscher Edward Lorenz die Chaostheorie an einem Computermodell des Wetters bereits exemplifiziert hatte. Und hätte Big Blue in ihre eigene Geschichte hineingeschaut, dann hätte sie gesehen, dass bei aller kollektiven Genialität der Technologen und der Marketiers der Erfolg nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt planbar ist. Irgendwann gewinnt der Erfolg den Erfolg aus sich selbst. Er managt sich von allein.
Auf jeden Fall hatten Big Blues Technostrategen Mitte der siebziger Jahre den nächsten großen Schritt voll im Visier. Aber er wurde abgewürgt. Das Management des Multis zog nicht mit. Es hatte sich dem Codex des späten 20. Jahrhunderts verpflichtet: es wollte überall als good citizen gelten, als braver, biederer und angepasster Bürger. Der Ölpreisschock von 1973, der die ganze Welt überraschte und auf die Grenzen des Wachstums hinwies, hatte die revolutionären Kräfte erlahmen lassen. Es herrschte Restauration.
Watsons Nachfolger Frank T. Cary dachte nur noch in business cases, in kleinen überschaubaren Projekten, die einen schnellen Return on Investment brachten. Das war die neue political correctness, der alle IBMer treublau folgten. An milliardenschweren, langwierigen und riskanten Projekten war Cary nicht interessiert. Er war kein Watson, der akzeptieren konnte, dass Technologen mitunter intelligenter sind als Manager. Watson wusste, wie man mit Primadonnas umging und Zauderer »mutiviert«. Cary & Co. hingegen haben die Superstars entweder vergrault oder einfach in Labors verkümmern lassen. Die IBM der kleinen Schritte war geboren.
Der brain drain, der zuvor in Richtung Big Blue gezogen war, wechselte zu den Wettbewerbern. IBM verlor in der Folge ihren Rhythmus, der sie so groß und mächtig hatte werden lassen.
Ohne natürliche Autorität. Sowohl Watson I. als auch Watson II. haben jeweils eine Latenzzeit von zehn Jahren benötigt, bevor sie ihre ganze unternehmerische Stärke ausspielten. Beim Senior war es die Phase von 1914 bis 1924 gewesen. Beim Junior war es der Zeitraum von 1946 bis 1956 gewesen. In dieser Zeit waren beide nach außen hin eher unauffällig gewesen. Sie hatten sich internen Herausforderungen gestellt wie der Konzentration auf das Tabelliermaschinengeschäft (Watson Sen.) in den zwanziger Jahren oder der Umstellung auf die Elektronik (Watson Jun.) in den fünfziger Jahren.
Dann aber hatten sie aufgedreht und ihre aus der internen Transformation gewonnene Power voll auf den Markt gerichtet. Mitte der siebziger Jahre hätte IBM ebenfalls an den Aufbau einer solchen neuen Autorität denken müssen. Und in der Tat wurde sie Mitte der achtziger Jahre in der Person von John Akers sichtbar. 1985 wurde er Chief Executive, ein Jahr später ihr Chairman. Aber er war ein vaterloser Watson, eine Kopfgeburt. Kein Unternehmer vom Schlage des extravaganten Charles Flint oder des patriarchalischen Watson Senior stand während der Aufbauzeit hinter ihm. So konnte Akers Mitte der siebziger Jahre nicht die nächste Transformation der Company einleiten,
- die sich mental auf den Service‑Gedanken hätte zurückbesinnen und
- technologisch voll auf die vernetzte Welt konzentrieren müssen.
Das sind die beiden Punkte, die heute, in der Ära von Lou Gerstner den Aktienkurs der IBM wieder explodieren lassen. Aber im Prinzip knüpft die Firma heute da an, wo sie bereits 1985 hätte sein müssen. Nicht, daß ihre Ex‑Partner Intel und Microsoft in der Börsenkapitalisierung an Big Blue vorbeigeschossen sind, hat sich die Gesellschaft vorzuwerfen, sondern dass sie ihre eigene revolutionäre Geschichte nicht weiter geschrieben hat.
Die alte IBM stümperte nur herum und dachte in Produkten und Produktion, in Ziegel und Mörtel ‑ und Akers trat nicht gegen das herrschende Weltbild an, was die Watsons beide getan haben. Natürlich hatte Akers einen guten Grund: er wäre sonst niemals Chef der Company geworden.
Akers war das Kind von Mother Blue, das sich in den siebziger Jahren zu einem zutiefst selbstbezüglichen System entwickelte und dabei Trends verpennte ‑ wie zum Beispiel das Aufkommen der Minis. Das System IBM wollte sich evolutionär allein Richtung und Ziel sein wollte, ohne dabei noch etwas zu riskieren. Akers lehnte sich erst als Chairman dagegen auf ‑ und scheiterte. Ihm wurde schließlich die Autorität entzogen.
Alles aus dem Nichts. Ein Nachfolger wird daran gemessen, ob er der Vater oder das Kind einer unternehmerischen Revolution ist. Die beiden Watsons haben ihrer Zeit den Stempel aufgedrückt. Der Senior war Lochkarte, der Junior war Elektronik. Die nächste Phase wäre Telekommunikation gewesen, der Vorstoß in den Cyberspace. Aber jede Phase schafft sich auch ihre eigenen Bedingungen. Sie verlangt den radikalen Bruch mit dem Bestehenden. Sie braucht eine Stunde Null, den Start aus dem Nichts. Und jeder Unternehmensführer muß dazu die Chance erhalten. Er muß seine eigene Autorität durchsetzen ‑ und zwar nicht erst dann, wenn er an der Spitze steht.
Watson erntete mit der /360 die Erfolge, die er in den frühen fünfziger Jahren mit dem Umstieg in die Elektronik gesät hatte. Deswegen gelang ihm die Einführung dieser Computer der dritten Generation. So formuliert der Ex‑IBMer Hart: »Mit dem Schritt zur /360 und weg von dem, was IBM bislang hatte, setzte die Firma beinahe ihre Existenz aufs Spiel. Und mit dem Versuch, auf einen Schlag eine neue Architektur, neue Software und neue Technologie zu kreieren, hatte IBM wie niemals wieder in ihrer Geschichte alles riskiert.«[6] Sie konnte es aber wagen, weil sich die Stunde Null bereits früher ereignet hatte. Die alte IBM hatte 1956 im Rahmen eines Antitrust‑Verfahrens versprochen, alle Patente, die sie hielt und ihr bis 1961 noch zugesprochen werden würden, gegen eine geringe Gebühr an die Wettbewerber abzugeben.
Das war ein gefährliches Spiel, wie Watson Jun. aus der Geschichte der Firma sehr genau wusste.
POP‑Art. Sein Vater hatte 1949 der British Tabulating Machines Co. (BTC) die Exklusivrechte für die Herstellung und Vermarktung von IBM‑Produkten sowie die Nutzung von Patenten erteilt ‑ mit dem Ergebnis, dass Big Blue selbst in den Ländern des britischen Commonwealth nur auf Platz 2 rangierte.
Im Vereinigten Königreich, in Australien, in Neuseeland, Indien, Pakistan und Südafrika musste IBM gegen sich selbst konkurrieren. Die Umsätze waren entsprechend mager. Schlimmer noch: nur unter der Bedingung, dass 38 Prozent des Aktienkapitals in britische Hände überging, hatte IBM überhaupt auf der Insel eine eigene Gesellschaft gründen dürfen. Für 28 Millionen Dollar hatte dann 1959 Sohn Watson die Anteile zurück erwerben lassen.[7]
Jeder wollte IBMs Patente ‑ die Japaner hatten der Gesellschaft Ende der fünfziger Jahre besonders hart zugesetzt. Sie sahen sich beim Aufbau einer eigenen Computerindustrie hoffnungslos im Rückstand. Also wollten sie IBM mit staatlichem Druck zum Know‑how‑Transfer zwingen. Doch die Firma blieb standhaft. Watson hatte sich allerdings auch in anderen Ländern nur mit dem Versprechen aus der Affäre ziehen können, daß IBM ihre Gewinne in den jeweiligen Märkten in den Aufbau von lokalen Fertigungsstätten hineinstecken würde.
Der Nationalstaat begann, seine Arbeitsplätze zu schützen. Wie aber sollte IBM diesem Anspruch gerecht werden?
[1] Fortune, 11/60, Robert Sheehan: »Q: What grows faster than I.B.M? A. I.B.M. Abroad«
[2] Computerworld, 4.6.90, Glenn Rifkin: »The price of beeing Watson Jr.«
[3] Kurt Blauhorn, Gütersloh 1970: »Erdteil zweiter Klasse? ‑ Europas technologische Lücke«
[4] Electronics, 14.4.80, »Special Commemorative Issue«
[5] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.4.94: »War Oppenheimer ein Spion?«
[6] Computerworld, 3.11.1986, James Connolly/Jeffrey Beeler: »The price of success: IBM /370 system won`t die«
[7] Fortune, 11/60, Robert Sheehan: »Q: What grows faster than I.B.M? A. I.B.M. Abroad«
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