Der Prospekt, mit dem alles begann.
Journalyse-Quelle: STATTARCHIV RV
Von Raimund Vollmer
1. High-Tech im Hochsommer
New York. Dienstag, 12. August 1981, 2.00 Uhr morgens. Alles war vorbereitet. Doch zwei Menschen konnten sich nicht von dem Ort des zukünftigen Geschehens trennen. Sie standen einsam & verlassen im Starlight Ballroom des Hotels Waldorf‑Astoria und kämpften gegen ihre Zweifel. »Glauben Sie, daß überhaupt irgend jemand zu unserer Pressekonferenz kommen wird«, fragte bangen Herzens der IBM‑Manager Philip »Don« Estridge seine Kollegin aus der PR‑Abteilung Jeannette Maher. »Ich weiß es nicht. Es kann durchaus sein, dass wir beide ganz allein hier sein werden«, antwortete die Dame ziemlich verzagt.[1]
Wenige Stunden später waren alle Zweifel hinweggespült. Mehr noch: Mit einem solchen Presse‑Andrang hatte das IBM‑Management nicht im entferntesten gerechnet. 160 Journalisten waren ins Waldorf‑Astoria gekommen, um die Welturaufführung einer kleinen, grauen Kiste zu erleben: die Vorstellung des IBM Personal Computers.[2]
Das Modell mit zwei Diskettenlaufwerken
Soviel Aufmerksamkeit überraschte. Doch IBMs Einstieg ins PC‑Geschäft hatte seinen besonderen Reiz. »Es ist ein Computer für jede Jahreszeit«, präsentierte Clarence B. »Jack« Rogers Jr.. das Kleingerät. Normalerweise beschäftigte er sich als IBM Vice President und Chef der Information Systems and Communications Group kaum mit solchen Winzlingen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte besaß das Unternehmen einen Computer, der weniger als 10.000 Dollar kostete ‑ und zwar deutlich weniger. Sein Preis: je nach Modell zwischen 1.565 und 6.000 Dollar. Schon prophezeite Rogers vollmundig: »Es wird unser am meisten akzeptierter Rechner werden.«[3]
Das war schlichtweg eine Untertreibung. Kaum hatte IBM im Oktober 1981 in den USA mit der Auslieferung begonnen, da befand sich der Tausendsassa bereits auf der Siegerstraße. Er sollte innerhalb von wenigen Monaten die Szene völlig verändern: »Die Geschichte der Personal Computer kann in zwei Ära aufgeteilt werden ‑ in die Ära ohne IBM und in die mit IBM«, schrieb die Marktforschungsgesellschaft International Data Corporation (IDC) aus.[4] Und 1991 meinte Simon Pearce von IDC über den 12. August, daß dies der Tag war, an dem »IBM den PC legitimierte. Der IBM PC wurde sehr schnell der Marktstandard«.[5]
1.1 Sprung nach vorn
Eine gigantische Wachstumsbranche entstand, in der seit der Jahrtausendwende jedes Jahr 300 Millionen neue PCs verkauft werden. 2008 durchbrach nach Zählung der Marktforschung Gartner der Weltbestand erstmals die Schallmauer von einer Milliarde PCs. Und wir sind - trotz des Auftretens alternativer Systeme - auf dem besten Weg, die zweite Milliarde zu nehmen. Nicht schlecht für ein Maschinchen, das erst 30 Jahre alt ist. Und Bill Gates, Gründer von Microsoft meinte schon 1999, dass »die Welt fast ebenso viele PCs kauft wie Farbfernseher.«[6] Doch die Zeit der Wachstumsraten von 20 Prozent sind vorbei - und damit auch die große Zeit der kleinen Kiste. Ausgerechnet deren Urheber prognostiziert jetzt das Aus: »Die PC-Ära ist zu Ende«, verkündete 1999 Louis Victor Gerstner Jr., zwischen 1993 und 2005 Chairman der IBM Corp.[7] Die Londoner Financial Times fragte bereits damals in einer Headline: »Desktop-Dinosaurier?«[8] Traditionelle PCs - so die Begründung - würden nun ersetzt durch Billigversionen und dann durch völlig neuartige Systeme wie Web-TVs und Web-Pads. Zwölf Jahre später wissen wir, dass diese Prognosen Wirklichkeit werden. Der PC - vor allem in der Gestalt des Laptops, des Klapprechners, hat mächtig Konkurrenz bekommen. Das Desktop-Geschäft verschwindet in anderen Geräten wie Fernseher, postkartenkleine elektronische Assistenten und Mobiltelefone, iPads und iPhones. Doch das ist eine andere Geschichte, eine, die jetzt erst geschrieben wird und deren Held Apple zu sein scheint.. Es ist die Geschichte der »Generation Facebook« und nicht die der »Generation PC«. Jede Generation ist dazu verurteilt, die alten Mythen zu zerstören, um neue zu errichten. Die »Generation PC« vernichtete den Mythos IBM, so wie die »Generation Facebook« sich nun anschickt, den Mythos Microsoft endgültig zu demontieren.
1.2 Bill Gates - der erste Computer-Milliardär
Dabei sah Big Blue, wie IBM wegen ihrer einstigen Vorliebe für die Farbe Blau genannt wurde, mit ihrem PC am Anfang wie der große Sieger aus. Schon am Tag seiner Ankündigung war die Nachfrage nach dem Tausendsassa allein innerhalb der IBM‑Belegschaft so groß, dass die Bestellformulare ausgingen. Das Angebot für IBMs Innenwelt war einfach zu attraktiv. Rund 40 Prozent Nachlass bekamen die Mitarbeiter beim Erwerb ihres PCs, der dann daheim vor allem von den Söhnen und Töchtern in Besitz genommen wurde.[9] So eroberte der PC die Kinderzimmer, nicht nur in den Familien der IBMer, sondern überall auf der Erde. Eine Generation wuchs heran, die sich sehr bald eine Welt ohne Computer überhaupt nicht mehr vorstellen konnte - nicht ahnend, dass wir dreißig Jahre später im Zeichen von Cloud Computing genau darauf zuzusteuern scheinen, auf eine Welt, in der die Computerleistung hinter »Wolken« versteckt ist. Es kann durchaus sein, dass der IBM, die einen Weg fand, das PC-Geschäft aus sicherster Position heraus zu verlieren, Herr über den Wolken sein wird. Nicht mehr allein und unumstößlich, wie in der Zeit vor dem PC, sondern in Verein mit anderen Giganten, die es zum größten Teil 1981 noch gar nicht gab. Aber schon die PC-Geschichte zeigt, dass die heute drei Billionen Dollar schwere IT-Branche (inklusive Telekoms) zu groß ist für die Größten, sondern bestimmt wird von Abertausenden von Mitstreitern, die sich einen erbitterten Kampf nach dem anderen um die Supermärkt liefernn. In der PC-Ära hießen die Sieger in diesem Kampf Microsoft und Intel. Big Blue gibt es spätestens seit Dezember 2005 in diesem Geschäft gar nicht mehr. Sie verkaufte damals ihr PC-Business an den Chinesen Lenovo und machte ihn damit zur Nummer 3 des Weltmarktes.
Der PC kreierte 1988 mit William H. (Bill) Gates III. den ersten Milliardär in der Computergeschichte, die kleine Kiste machte ihn gar zum reichsten Mann der Welt, und sie schuf mit dessen Firma Microsoft auch das lange Zeit weltweit am höchsten bewertete Unternehmen. Jeder PC, der zum Beispiel 1999 installiert wurde, vergrößerte die Börsenkapitalisierung des Software-Herrschers um knapp 1000 und seines Pendants auf der Hardware-Seite, den Chip-Giganten Intel, um mehr als 400 Dollar.
1.3 Der Anfangserfolg
Zu Beginn schien indes IBM der größte Nutznießer des Personal Computers zu sein. Als die Company am 31. Dezember 1981 ihre Geschäftsbücher schloss, hatte das Maschinchen bereits vier Prozent Marktanteile in der Neuen Welt erobert. Bis Ende 1982 verkaufte IBM 200.000 Stück allein in den USA. Und dann nahm sie den Weltmarkt ins Visier. Am 18. Januar 1983 gab der PC in Europa sein Debut. Ein sensationeller Sturmlauf begann.
1983: Der Kampf um den Desktop schien entschieden
»Personal Computer - und der Gewinner heißt IBM«, titelte in fetten Lettern am 3. Oktober 1983 das Wirtschaftsmagazin Business Week.[10] Drei Monate später analysierte das Fachblatt Computerworld: »1984 wird IBM einen größeren Teil jenes Marktes besitzen, für den sie 36 Monate zuvor noch nicht einmal ein Produkt hatte«.[11] Insgesamt ‑ so berichtete 1991 der IBM-Manager Robert Corrigan ‑ »hatten wir [für 1983] einen Absatz von 300.000 Stück weltweit vorhergesehen. Wir haben das Geschäft völlig falsch eingeschätzt.«[12] Denn es wurden mehr als doppelt so viel.[13] Gemessen in Dollar ‑ und nicht in Stückzahlen ‑ hatte IBM 1983 einen Marktanteil von 33 Prozent.[14] Die Nachfrage war zeitweilig so groß, dass IBM nur 25 Prozent der bestellten Mengen an die Händler liefern konnte.[15] Aber nicht nur der Computergigant hatte sich völlig verschätzt. So hatte Newsweek im August 1981 Branchenanalysten zitiert, die IBM für 1984 einen Absatz von 350.000 Maschinen prognostizierten. Es wurden dreimal so viel.[16] Bis 1985 ‑ so hatten die Marktforscher von Dataquest 1981 vorausgesagt ‑ würden Desktops in der Preisklasse bis 5.000 Dollar einen Weltmarkt von vier Milliarden Dollar kreieren. Es wurden fünf Milliarden Dollar, die allein IBM mit den schlauen Kisten umsetzte. Weltweit generierte die junge PC‑Branche 20 Milliarden Dollar.[17] Fünfmal mehr als vorhergesagt.Niemand hatte mit einem derart durchschlagenden Erfolg gerechnet. »Selbst in seinen kühnsten und verrücktesten Träumen hat keiner vermutet, dass sich um unsere Maschine so viele Aktivitäten drehen würden«, erklärte Philip D. (Don) Estridge bereits ein Jahr nach der August‑Ankündigung gegenüber Business Week.[18] Estridge war IBMs »Mister PC«. Er war die eigentliche treibende Kraft hinter dem »Blitzkrieg« (Fachzeitschrift Datamation), den die schlaue Kiste im Markt geführt hatte. »Die größte Überraschung war, wie schnell und in welchem Ausmaß IBM der dominante Faktor wurde«, urteilte 1983 Michele S. Preston, Analyst bei dem Wertpapierhaus Rothschild, Unterberg, Towbin.[19] Dieser PC sollte innerhalb von zehn Jahren das schaffen, wozu das Telefon 75 Jahre benötigte: die Eroberung der Schreibtische in den Büros.[20] *Und John Diebold, Gründer der nach ihm benannten Management-Beratung, prophezeite 1984: »Mikrocomputer sind im Begriff der stärkste Faktor in der DV-Industrie zu werden.«[21] IDC prognostizierte, dass der PC im Big-Brother-Jahr den Mainframe-Markt an Geschäftsvolumen überholen werde. Was heute längst geschehen ist, was damals noch fast unvorstellbar.[22]
»Nach der Ankündigung mussten wir alles sehr schnell und sehr groß erledigen. Die Leute wollten mehr, als wir eigentlich produzieren konnten. Und wir arbeiteten an zwei und drei neuen Versionen«, berichtet der IBMer Robert Baker, der zum Entwicklungs‑Team des ersten PCs gehörte.[23] So folgten 1983 der PC XT und 1984 der PC AT (Codename Popcorn).[24]
Dass im Mikro‑Markt auf IBM ein Multimilliarden‑Business warten würde, hatte allein die Gartner Group richtig prognostiziert ‑ und das bereits 1978. Deren Gründer Gideon Gartner hatte damals behauptet, dass IBM Mitte der achtziger Jahre fünf Milliarden Dollar mit PCs umsetzen werde. Zu diesem Zeitpunkt hatte IBM den PC noch nicht einmal in der Planung. Eine tollkühne Behauptung also ‑ und dennoch ein Volltreffer! Doch zu diesem Zeitpunkt hatte der Mythos IBM bereits starke Risse. Die »Generation PC« entwickelte ihre Power.
Quellen
[1] Computerworld, 5.8.1991: »Scrapbook: August 12, 1981«
[2] Business Week, 22.11.1982: »The coming shake‑out in Personal Computers«
[3] Business Week, 24.8.1981: »IBM joins the race in personal computers«
[4] Fortune, 1983, Advertisement Section, IDC: »Office Systems for the Eighties: Automation and the bottom line«
[5] Financial Times, 16.7.1991, Paul Tate: »Happy birthday to a trend setter«
[6] Newsweek, 31.5.1999, Bill Gates: »Why the PC Will Not Die«
[7] Business Week, 19.4.1999, Peter Burrows, Ira Sager: »PC makers think beyond the box«, danach zitiert
[8] Financial Times, 13.4.1999, Louise Kehoe: »Desktop dinosaurs?«
[9] Fortune, 23.1.1984, Advertisement Section, IDC: »Personal Computing: Productivity tool for business«
[10] Business Week, 3.10.1983: »Personal Computers: and the winner is IBM«
[11] Computerworld, 2.1.1984, Bill Laberis: »IBM ‑ King of the Road«
[12] Financial Times, 16.7.1991, Paul Tate: »Happy birthday to a trend setter«
[13] Business Week, 15.8.1983: »IBM's Personal Computer spawns an industry«
[14] Fortune, 23.1.1984, Advertisement Section, IDC: »Personal Computing: Productivity tool for business«
[15] Computerwoche, 16.6.1983: »IBM kann bestellte PCs nicht liefern«
[16] Newsweek, 24.8.1981, Merrill Sheils, Hope Lambert: »The Giant Vs. the Little Guy«
[17] Newsweek, 24.8.1981, Marc Frons: »Computers get personal«
[18] Business Week, 22.11.1982: »The coming shake‑out in Personal Computers«
[19] Business Week, 3.10.1983: »Personal Computers: and the winner is IBM«
[20] Fortune, 23.1.1984, Advertisement Section, IDC: »Personal Computing: Productivity tool for business«
[21] Die Computer Zeitung, 29.2.1984: »John Diebold: Mikros wohin?«
[22] Die Computer Zeitung, 29.2.1984: »PC überrundet Mainframe«
[23] Computerworld, 1.12.1986, Peggy Watt: »Seattle fights for DOS rights«
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