Von Raimund Vollmer
7. Nur noch E-Firmen
Das war zur Jahrtausendwende jedem Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft sonnenklar: Dem Sog des Internets, dieses alten und doch als neu empfundenen Medium, werde sich niemand widersetzen können und damit einen epochalen Wandel auslösen. So sah dies zum Beispiel Louis V. Gerstner, Chairman der IBM Corp.. Im Frühjahr 1999 behauptete er: »Was in Wahrheit den Sturm entfacht und den eigentlichen Unruheherd bildet, das sind die Tausenden und Abertausenden von etablierten Institutionen. Sie übernehmen die Macht über diese globale Infrastruktur aus Computern und Kommunikation. Und sie nutzen diese Macht, um sich selbst zu transformieren. Das ist die wahre Revolution.«[1] Manchmal wünschte man sich, die heutigen Chefs der IBM und ihrer Mitbewerber, die einst auch ihre Mitbewunderer waren, wären auch in der Lage, da rhetorisch mitzuhalten. Aber die ganze Aufbruchstimmung ist längst zu einem unsäglichen Marketing-Blahblah verflacht.
Vielleicht liegt es auch daran, dass damals die Medien vom Wandel weitaus faszinierter waren als heute und die Intellektuellen von diesem neuen Reich der Möglichkeiten inspiriert waren. Heute lässt sie das Internet kalt, sie haben es längst den Bürokraten und Juristen überlassen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass damals die Effekte der Veränderung plastischer kommuniziert wurden. So gaben im Jahr 2000 nach ersten Schätzungen die Unternehmen in Europa rund 260 Milliarden Dollar für Informationstechnologien aus. Das waren 30 Prozent mehr als 1999.[2] Die Produktivitätsgewinne, die aus diesem vermehrten Einsatz resultieren, würden nach Erkenntnissen der Investmentbank Salomon Smith Barney bis 2003 das Wirtschaftswachstum in der EU um jährlich einen halben Prozentpunkt verstärken.
Schaute man noch weiter in die Zukunft, dann wurde sichtbar, wohin dies alles treibt. Formuliert Cisco-Chef Chambers: »In zehn Jahren wird es nur noch E-Firmen geben.«[3]
Aber niemand wusste, wie diese Unternehmen im Jahr 2010 aussehen würden. Fantasie war alles. Nur so viel schien sicher. Wer allein auf Preiseffizienz setzte, würde nicht überleben. Das zeigte gerade das Beispiel der dot.coms, deren Geschäftsmodelle völlig darauf ausgerichtet waren und prompt mit einer mörderischen Burn-Rate bestraft wurden. Sie hatten ganz einfach übersehen, dass die Akquisition von Kunden im Netz eine überaus teure Angelegenheit war. Und wenn man nur Schnäppchenjäger anlockte, durfte man sich nicht wundern, wenn man selbst deren Opfer wird. Das war das e-business der ersten Generation. In der nächsten Stufe musste es deshalb um Kundenbindung gehen.
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