Donnerstag, 15. September 2011

Der Jahrhundert-Sprung (Teil VIII)

8. Der Druck der Aktionäre

Früher zählte die Bindung an den Arbeitsplatz und an große Organisationen wie die Gewerkschaften. Die Märkte, allen voran die Börse, hatten dies bereits in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts grundlegend geändert. Von den 36 Millionen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland waren nur noch acht Millionen gewerkschaftlich organisiert. »Deutschland zählt heute mehr Aktionäre als Gewerkschaftsmitglieder«, erklärte damals Dieter Kempf, Vorstandsvorsitzender der DATEV eG in Nürnberg. Allein in die Aktienfonds flossen 1999 mehr als 400 Milliarden Mark, doppelt soviel wie im Jahr zuvor.[1] Nun mussten die Fondsmanager und die börsennotierten Firmen beweisen, dass es ihnen gelang, diese Geldanleger zu halten. Und das würde den nächsten Wandel kräftig vorantreiben. Wie wir heute wissen: sie versagten kläglich, oder stand dahinter eine Absicht?

Das Bild, das sich hier vor zehn Jahren manifestierte, sah so aus: Gerade angesichts der Erosion an den Börsen würden die Fondsmanager gezwungen sein, unerbittlich mit den Firmen umzuspringen, die noch zu sehr an den alten Modellen festhalten. Sie würden die Firmen in Richtung Zukunft drängen. Und die Geschichte zeigte, dass unter dem Druck der Börse Amerikas Wirtschaft wieder an Dynamik gewann:

In den achtziger und neunziger Jahren ging alles in Richtung Effizienz und Konzentration auf die Kernkompetenzen. Es war die Erneuerung von innen. Das war die große Zeit des Enterprise Ressource Planning. Die Finanzchefs übernahmen das Regiment. Jetzt schien alles darauf ausgerichtet, die Potenziale des e-business auszuschöpfen. Dessen Augenmerk war auf die Außenwelt gerichtet. Und damit wurde die Technologie zum Treiber.

Die Kunst bestand nun darin, beide E-Sichten zu vereinen – die von e-business und die von ERP. Die Integration sollte sich dabei über neuen Geschäftsmodelle vollziehen, um die ein brutaler Wettkampf entbrannte. Davon betroffen waren nicht nur die internen Unternehmensstrukturen, sondern die gesamten Zuliefer- und Nachfrageketten. Es ging darum, viele Welten miteinander zu vereinen. Das geschah nicht ein- für allemal, sondern immer wieder. Spontan. Jeden Tag aufs Neue.

Auf was konnte man da noch sicher setzen? Nun, die Zukunft baute ganz solide auf Ziegel und Mörtel, auf Bricks & Mortars, wie im Jargon des Cyberspace alle etablierten und traditionsreichen Unternehmen genannt werden. Ziegel und Mörtel werde es auch weiterhin geben. Nur würde zum Beispiel der Maurermeister künftig seine Baustoffe im Netz ordern oder gar bei einer Online-Börse ersteigern. Bequem nach Feierabend. Und am nächsten Tag stünden die Baustoffe bereit. Vor Ort. Auf der Baustelle. So würden Clicks zu Bricks. Das war das große Thema beim e-business der zweiten Generation.

Schon 2001 hatten zum Beispiel in den USA nach einer Umfrage der American Association of Home Builders 90 Prozent der Baufirmen Zugriff zum Netz. Und die Zeit war abzusehen, in der nicht nur fünf bis zehn Prozent der Firmen ihre Materialien im Netz kaufen würden, sondern alle Betriebe. Mehr noch: Die gesamte Logistik, die mit der Herstellung eines Hauses verbunden war, würde bald über das Netz gemanagt.[2]



[1] Business Week, 1.5.2000, John Rossant, David Fairlamb: »Ripples, but no panic«

[2] Wall Street Journal, Oktober 2000 (Beilage e-commerce), Joseph B. White: »What Works?«

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