»Die Zukunft macht eine Pause – und dann einen Sprung.«Robert L. Bartley, Columnist des Wall Street Journals
11. Kunstraum der Zeit
Wer sich aufmacht, um zu erkunden, was die Zukunft an
Neuerungen bringt, wird zurückkehren mit einer Fülle von Ideen. In den Labors
und Zukunftswerkstätten wird mit Volldampf am 21. Jahrhundert gearbeitet. Schon
werden die Ideen und Visionen kartographiert und katalogisiert. Sie werden
entlang der Zeitachse positioniert, so dass jeder den Zeitpunkt ihrer
mutmaßlichen Marktreife abschätzen kann. Das Ganze hat Tradition. 1967 hatte
die Delphi-Studie erstmals mit dem Erfindungspotential des Menschen
experimentiert. Auch wenn viele der Prognosen, die bis weit in dieses neue Jahrhundert
reichten, sich längst als hoffnungslos falsch erwiesen haben, so war die Studie
doch ein wunderbares Kartenwerk, voller Faszination, voller Hoffnung, voller
Aufbruch.
Jetzt stehen wir vor einer vergleichbaren Situation. Wir
zeichnen die Landkarten der Zukunft. Das Terrain, das es vor allem zu
erschließen gilt ist das Internet. Noch ähneln dessen Prognosekarten sehr stark
jenen kunstreichen, aber hoffnungslos falschen Aufzeichnungen des Mittelalters.
»Wir können hier ruhig sitzen und über das reden, was geschehen wird«, meint
Paul Saffo, Direktor des Institute for the Future. »Aber ich garantiere, dass
das Internet uns am Ende alle überraschen wird. Es gehört zu meinen Erfahrungen
als Zukunftsforscher, dass die am stärksten erwartete Zukunft ziemlich spät
eintritt – und in vollkommen unerwarteter Weise.«[1] Ein paar der
Überraschungen haben wir inzwischen erlebt. Und es werden noch viele folgen.
So wie die alten Karten, in denen die Phantasie das Wissen
ersetzte, zu der Entdeckung Amerikas und Australiens, zur Erkundung Afrikas und
Asiens führten, so sind auch jetzt unsere Pläne, Visionen und Ideen die
Wegbereiter der Zukunft. Vor einem halben Jahrtausend erschlossen wir uns mit
den alten, phantasiereichen Karten die gesamte Welt. Heute lassen wir unsere
Landkarten höchstwissenschaftlich und mit äußerster Präzision von Satelliten im
Weltall aufzeichnen, prognostizieren das Wetter und erkunden vom Himmel aus die
Bodenschätze der Erde. Wir brauchen keine Phantasie mehr. Sie wird ersetzt
durch Perfektion und Präzision. Aber reicht das? Wird damit wirklich schon das
Neue geschaffen? Mit Perfektion und Präzision schafft man grundsätzlich nichts
Neues. Dazu braucht man Glück und Phantasie, Versuch und Irrtum. Und schon sind
wir dabei, uns zu überraschen. GPS sei Dank. Googles Maps und StreetView seien
gelobt und gepriesen. Sprünge in eine Zukunft, in der es bald sich selbststeuernde
Fahrzeuge geben wird. Träume von gestern werden wahr.
Diese überraschenden Faktoren einzukalkulieren, das ist
Aufgabe der Futurologie. Deshalb meinte bereits 1971 Herman Kahn, der Dekan der
Zukunftsforschung: »Die Erforschung der
Zukunft ist eine Kunst und keine Wissenschaft.«
An dieser Aussage des Zukunftsforschers hat sich auch in den
letzten vierzig Jahren nicht viel geändert. Wir besitzen noch immer nicht jene
Satelliten, die minutiös in die Zukunft schauen. Aber in einem Punkt sind wir
wesentlich weiter als vor drei Jahrzehnten. Wir stehen endlich an der Schwelle
zu einem Zeitalter, in dem wir der Zukunft eine vielfältige Gestalt geben
können. Wir haben längst den Zeit-Raum geschaffen, in dem alles Zukunft ist –
auch unsere Herkunft. Es ist der Cyberspace. Nun ist es an der Zeit, ihn zu
gestalten.
»Wir müssen dafür sorgen, dass die neuen digitalen
Landschaften für uns geschaffen werden, anstatt dass wir uns an ihre Werte
anpassen«, meint Bill Joy, Mitgründer von Sun Microsystems. Diese Landschaften
»müssen unsere Wahrnehmungen und unsere Gefühle reflektieren. Das wird nicht
einfach zu bewerkstelligen sein, es kann nicht dem Zufall überlassen werden.
Die zweite Chance besteht darin, dass wir diese neuen Landschaften wunderschön
gestalten. Dafür brauchen wir mehr denn je ein großartiges Design.«[2] Wir brauchen ein Design,
das weitaus mehr umfasst als das, was der Cyberspace heute enthält.
Noch sieht man ihm zu sehr die Werkzeuge an, mit denen er
gebaut wurde. Noch haben wir wie Columbus vor 510 Jahren gerade einmal erst die
Randzonen des neuen Kontinents betreten. Aber allmählich ahnen wir, was die
Neue Welt uns verheißt. War Amerika das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, so
ist der Cyberspace das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten. Und einer wie der Apple-Gründer Steve Jobs
trat an, um der digitalen Welt Schönheit zu lehren.
Endlich können wir unsere Phantasien voll ausspielen, wir
können sie sogar gegeneinander antreten lassen. Im Guten wie im Bösen. Alles
kann hier eine virtuelle Gestalt annehmen. Wir können simultan tausend Wetten
loslassen. Wir können gar gegen unsere eigenen Wetten wetten. Wir
digitalisieren unser Wissen, um es mit unseren Ideen interagieren zu lassen.
Unsere Geschichte kommuniziert mit unseren Plänen – und umgekehrt. Wir
konzertieren unsere eigene Welt. Wir sind dabei, der Zeit einen künstlichen
Raum zu schaffen. Im Cyberspace navigieren wir durch die Zukunft – egal, woher
wir kommen.
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