1992: »Die schiere Geschwindigkeit, mit der die Kurse 1987 in den Keller rasten und über die gesamte Welt hinweg in anderthalb Tagen ein Viertel ihres Wertes verloren, fasziniert immer noch.«Financial Times am 19.10.1992, also fünf Jahre später[1]
Chicago versus New York
Da beide Märkte nicht synchron laufen, so die Theorie, besteht der
Trick darin, diese Anomalien zu erkennen und dann das Geschäft von einem
Markt zum anderen blitzschnell zu verlagern. Eine hochkarätige Elite von
»Raketenwissenschaftlern« entwickelte hypereffiziente Formeln, um von
diesen Differenzen in den Märkten zu profitieren. Das Problem war nur, dass
die Spannweiten mit der Zeit immer geringer wurden, je intelligenter die
Programme wurden. Immense Summen mussten in immer mehr Terminkontrakte
hineingesteckt werden, um von den hauchzarten Unterschieden überhaupt noch
profitieren zu können. Zwischen 1982 und 1987 verzehnfachte sich die Zahl
dieser Aktien-Terminkontrakte auf 20 Millionen und erreichte damit eine
Größenordnung, die die Zahl aller Futures
von 1972 übertraf. Hinter diesem Anstieg standen große Anleger wie
Investmentfonds, Wertpapierhäuser oder Versicherungen ‑ und natürlich der
massive Einsatz von Computerleistung.
Die allgemeine UnVersicherung. Das Zusammenspiel hatte bislang bestens
funktioniert. Selbst in den beiden Börsentagen vor dem Crash hatten die Arbitrageure das plötzliche Auseinanderlaufen
beider Märkte ‑ der Unterschied erreichte sechs Prozent ‑ noch ruhig und
besonnen gemanagt. Die Computermodelle funktionierten.
Der Kniff dabei war: Anstatt die Aktien zu verkaufen, deren Werte
südwärts tendierten, konnten die Kunden durch Einsatz ihrer portfolio insurance die Papiere
halten. Sie mussten nur ihre Terminkontrakte plündern.
Wenn der Markt weiter fallen sollte, dann würde der Erlös aus den
Termingeschäften die Verluste an der Aktienbörse kompensieren. Dreht sich
der Markt, mussten die Anleger zwar Einbußen in ihren Termingeschäften
hinnehmen, dafür aber wurden sie durch den Anstieg der Aktie mehr als
belohnt. Das System schien wunderbar zu funktionieren. Aber in der Baisse war es noch nie erprobt worden.
Der Feldversuch geschah dann am 19. Oktober 1987.
Kaum hatte am Schwarzen Montag die Aktienbörse in New York eröffnet,
gingen die Kurse in den Keller. Jetzt griffen die Investoren zu ihrer portfolio insurance. Alle hatten
ihren Finger am Trigger und der
Terminmarkt kollabierte. Angesichts der immensen Flut von Aufträgen mussten
die Arbitrage‑Techniken
versagen.
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Nicht nur in Chicago fehlten Käufer, auch an der New Yorker Börse
warfen viele der 450 Marktmacher das Handtuch. Gegen die konzertierte
Macht der Computer, die auf beiden Seiten wirbelten, hatte keiner eine Chance.[6] Der
Computer hatte das Unerwartete selbst inszeniert.
Vor allem das Ausland schaute mit Entsetzen auf das, was der Computer
an der Wall Street angerichtet
hatte. Die portfolio insurance
wurde nur in den USA eingesetzt, viele Bankleute hatten gar keine Ahnung, was
das war. Der Buhmann war gefunden: der Computer, der auf der Basis höchster
Abstraktion, reiner Mathematik und mit irrwitziger Geschwindigkeit über das
Schicksal von Unternehmen, Finanzmärkte und der Weltwirtschaft zu bestimmen
schien. Nicht mehr nach der Leistungs‑ und Ertragskraft einzelner Unternehmen
orientierte sich die Börsenentwicklung, sondern an der Entwicklung von
Indices, in denen zum Beispiel 500 Firmen wie im (Standard & Poor's 500) zusammengefaßt sind.[7]
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Weder die Computerwelt ist eine Sphäre für sich, noch die Börse. Selbst
wenn sich beide Welten gegenseitig durchdringen, so können sie sich auch dann
nicht von der Wirklichkeit abkoppeln. Die Welt der Profis läßt sich nicht
abschotten. »Institutionelle Investoren haben nun realisiert, dass sie eine
Verantwortung haben für den ganzen Markt«, meinte im Nachklatsch zum Black Monday der Chairman des American Stock Exchange, Arthur
Levitt Jr.. [8]Und
die professionelle Spekulation mit Terminkontrakten erfuhr in den folgenden
Monaten einen regelrechten Einbruch. Um 40 Pozent sank 1988 der Handel mit
Termingeschäften beim S&P-500-Index.[9]
Erst nach dem Crash
begann die Wirtschaft mit der schwierigsten Aufgabe, mit dem institutionellen
Wandel ‑ und er bildete auch den Hintergrund für die Erneuerung der Computerbranche.
Doch das ist eine ganz andere Geschichte...
ENDE DER SERIEZwischen 1982 und dem Crash von 1987 stieg der Dow Jones um mehr als 200 Prozent, der Output der amerikanischen Wirtschaft aber nur inflationsbereinigt um 20 Prozent.
[2] Die Welt, 16.1.88: »Börse New York überprüft
Handel mit Computern«
[3] Financial Times, 29.10.87, James Buchan, Deborah Hargreaves:
»A program for distress«
[4] Time, 25.1.85, Philip Elmer DeWitt/Thomas McCarroll, Charles
Pelton: »The culprits behind the crash?«
[5] Financial Times, 29.10.87, James Buchan, Deborah Hargreaves: »A
program for distress«
[6] Time, 18.1.88, Phillip ElmerDeWitt: »Wild bears on the loose«
[7] Die Welt, 16.88, G. Brüggemann:»Die große Reform ist nicht in
Sicht«
[8] Business Week, 18.4.88: »The crash created a `couch potato' market«
[9] The Economist, 25.2.89: »Go for grain«
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